Ein Mahnmal quer durch die Stadt

Wir starten znseren Rundgang in der Radetzkystrasse und nutzen die Unterlagen von „prankerrette“, die er/sie im Multi-Cache „Lauftext-Mahnmal“ – GC7HTZP zur Verfügung gestellt hat.

Catrin Bolt befasst sich mit der inhaltlichen, geschichtlichen und architektonischen Komplexität von Räumen und Orten. In Mahnmalprojekten entwickelte sie eigenständige Formen einer zeitgenössischen Erinnerungskultur.

Der Bericht von David Herzog, in dem er die Übergriffe schildert, wurde von der Künstlerin Catrin Bolt 2013 entlang jener Strecke, die er zu Fuß durch die Stadt gequält wurde – ausgehend von seinem damaligen Wohnort in der Radetzkystraße 8 bis zum Griesplatz – als Lauftext auf den Gehsteigen aufgetragen1.


Das Kunst- und Gedenkprojekt Lauftext-Mahnmal von Catrin Bolt zierte offiziell zwischen 9.11.2013 und 30.9.2015 einige Grazer Gehwege. Wegen umfangreicher Bauarbeiten musste der Schriftzug erneuert werden.

GEGEN 1⁄2 3 UHR NACHTS STÜRMTE ES AN DER TÜR. MEINE FRAU WAR TOTENBLEICH VOR SCHRECKEN GEWORDEN. ICH NAHM MEINEN SCHLAFROCK UND GING SCHLAFTRUNKEN ZUR TÜRE, AN DER MIT EINER SOLCHEN WUCHT GEDROSCHEN WORDEN WAR, DASS ICH MEINTE, ALLES GEHT IN SCHERBEN. ALS ICH ÖFFNETE, STÜRMTEN 12 SS- LEUTE, WAS SAGE ICH LEUTE, VERTIERTE BESTIEN, HEREIN UND SCHRIEN MICH AN, MACHE DICH FERTIG, KLEIDE DICH RASCH AN, DENN JETZT SOLL RACHE AN DIR, DU MÖRDER, DU VERBRECHER, DU VAMPYR, GENOMMEN WERDEN! RASCH, RASCH. DA ICH ALS ALTER MANN NICHT SO RASCH MICH ANKLEIDEN KONNTE ALS DIE VERBRECHER ES GEWOLLT, GING EIN LAUSBUB VON ETWA 18 JAHREN HER UND SCHLUG MICH MIT SEINER FAUST SO STARK INS GESICHT, DASS MIR DAS NASENBEIN SCHWER VERLETZT WURDE. INZWISCHEN ZÜNDETEN SIE ALLE LAMPEN IN DER WOHNUNG AN UND SCHRIEN: DA SCHAUT WIE DIE JUDEN WOHNEN. NUN WURDE ICH AUF DIE STRASSE GETRIEBEN UND ZU LAUFEN GEHEISSEN. DA ICH ALS 70JÄHRIGER MANN NICHT SO LAUFEN KONNTE, WURDE ICH MIT FUSSTRITTEN REGULIERT, SO DASS ICH ZWEIMAL SCHNURSTRACKS HINFIEL UND MIR BEIDE KNIE SCHWER VERLETZTE. WIR KAMEN ZUR MURBRÜCKE, DA WOLLTEN MICH 3 DER KERLE IN DEN FLUSS WERFEN, ABER 2 FRAUEN, DIE SICH DEN BRENNENDEN TEMPEL ANSCHAUEN WOLLTEN, SCHRIEN, IHR WERDET DOCH DEN ALTEN MANN NICHT IM WINTER IN DAS WASSER WERFEN. SO TRIEBEN SIE MICH DENN ZUM BRENNENDEN TEMPEL. DORT WAR EIN SCHEITERHAUFEN FÜR MICH AUFGESTELLT WORDEN. DOCH BEI DER ROSENKRANZGASSE STAND POLIZEIWACHE UND DIE LIESSEN NIEMANDEN DURCH, DA DIE FEUERWEHR DEN AUFTRAG HATTE, DIE NEBEN DEM TEMPEL STEHENDEN HÄUSER ZU SCHÜTZEN, WAS BEI EINEM ANDRANG NUR SCHWER DURCHFÜHRBAR GEWESEN WÄRE.

NUR DIESEM UMSTANDE HATTE ICH ES ZUZUSCHREIBEN, DASS DIE ZUM SCHAUPLATZ ZUGELASSENEN NICHT REIGENTÄNZE UM MEINEN VERKOHLTEN LEICHNAM AUFGEFÜHRT HABEN. NUN WURDE ICH ZUM GRIESPLATZ NR.2 GETRIEBEN. HIER STAND SCHON EIN AUTO, DAS AUF UNS WARTETE. DOCH BEVOR ICH INS AUTO GENOMMEN WURDE, UMSTELLTEN MICH DIE BANDITEN UND FRAGTEN MICH UM DIE ADRESSEN DER ANDEREN RABBINER, BEAMTEN UND, DAS IST DAS BEZEICHNENDSTE, NACH DER VON REICHEN JUDEN. ICH SAGTE IHNEN, ICH KENNE IHRE ADRESSEN NICHT, DENN ICH HABE MICH UM DIESE NICHT GEKÜMMERT. DA ZUPFTE MIR DER VERBRECHER, DER MIR DIE BEULE AN DER NASE SCHLUG, MEINEN BART, RISS MIR DIE HÄLFTE DER RECHTEN SEITE UNTER FURCHTBAREN SCHMERZEN AUS, SO DASS ICH STARK BLUTETE. UND NUN SAGTEN SIE ZU MIR, ICH WOLLE IHNEN 10 SCHILLING GEBEN. ICH SAGTE IHNEN, ICH HABE KEIN GELD BEI MIR, DENN ICH TRUG NUR SELTEN GELD BEI MIR. DARAUFHIN HIESSEN SIE MICH, EIN BEREITS FÜR MEINE VERSCHLEPPUNG BEREITSTEHENDES AUTO, DAS AM GRIESPLATZ 2 STAND, ZU BESTEIGEN UND ZWEI DER VERBRECHER SETZTEN SICH ZU MIR UND NAHMEN MICH IN DIE MITTE.

ICH GLAUBE, ES GIBT IN KEINER SPRACHE EINE SOLCHE FLUT VON GEMEINEN SCHIMPFWORTEN WIE IN DER DEUTSCHEN, UND DIESE ALLE WURDEN NOCH UNTERSTÜTZT MIT WUCHTIGEN SCHLÄGEN. MIT ALLEN DIESEN WURDE ICH BELEGT. MÖRDER, RÄUBER, SAUJUDE, VAMPYR, BLUTSAUGER UND WER WEISS NOCH ALLES. WIR WERDEN DIR SCHON ZEIGEN DASS DU KEIN GELD BEI DIR HAST. SIE FUHREN MICH ZU MEINER WOHNUNG. DA GING DER EINE HINAUF ZU MEINER FRAU, DIE EINEN SCHWEREN SCHÜTTELFROST HATTE, SCHRIE IHR ZU, SIE SOLLE ÖFFNEN UND ALS SIE ÖFFNETE VERLANGTE ER 10 S. NUN KAM ER HERUNTER UND HIESS DEN CHAUFFEUR, MICH ZUM JÜDISCHEN FRIEDHOF FAHREN. WIR FUHREN ÜBER DIE RADETZKYBRÜCKE, DA ZUM ERSTEN MALE SAH ICH DEN IN HELLEN FLAMMEN LODERNDEN TEMPEL, ICH WEINTE FÜRCHTERLICH, DA SCHRIEN MIR DIE MORDBUBEN ZU: NUN JETZT SOLL DIR DEIN JEHOVA, DU MÖRDER, DU RÄUBER, DU STROLCH, HELFEN. DA SCHAU HIN, WIE DEIN JEHOVA BRENNT.

UND NUN WURDE ICH GEOHRFEIGT, GESCHLAGEN, AN DEN HAAREN GERISSEN. ICH ERWÄHNE NOCHMALS, DA ERST SAH ICH ZUM ERSTEN MALE DIE HELLAUFLODERNDEN FLAMMEN MEINES HEISSGELIEBTEN TEMPELS. DENN ALS SIE MICH ZUM ERSTEN MALE ÜBER DIE BRÜCKE SCHLAGEND EINHERTRIEBEN, KONNTE ICH GAR NICHT HINSCHAUEN. ALS ICH NUN MEINEN HEISSGELIEBTEN TEMPEL BRENNEN SAH, BRACH ICH IN TIEFES WEINEN AUS, DAS, WIE ICH GLAUBE, EINEN STEIN HÄTTE RÜHREN MÜSSEN. ABER DIE BESTIEN SCHRIEN MICH AN UND SAGTEN: DA SCHAU, WIE DER SAUJUDE HEULT UND OHRFEIGTEN MICH HIN UND HER UND SCHLUGEN AUF MICH EIN. UND DER CHAFFEUR, DEN ICH NIE VERGESSEN WERDE, ES WAR EIN BEBRILLTER LUMP VON ETWA 50 JAHREN, SEKUNDIERTE UND SAGTE, WAS MAN DIESEM GESCHMEISS UND GESINDEL AUCH ANTUT, IST VIEL ZU WENIG. MAN SOLLTE SIE ALLE KALTEN BLUTES ERSCHLAGEN. UND SO GING DAS DEN GANZEN WEG.2

Unsere Geschichte- und Geocachingtour führte uns zum David-Herzog-Platz, wo die heutige Synagoge steht.

Über dem Verkehrszeichen am Foto der Synagoge sieht man eine Figur, die an den Brand des ehemaligen Gotteshauses erinnert.


Quellenverzeichnis

  1. Universalmuseum Joanneum, Das NS-Mahnmal „Lauftext“ der Künstlerin Catrin Bolt wurde nach umfangreicher Instandsetzung wiedereröffnet am 9. Juli 2024 ↩︎
  2. Aus dem Listing des Geocaches – (Als Vorlage diente der Zeitzeugenbericht Dr. David Herzogs, siehe auch: “Meine Lebenswege – Persönliche Aufzeichnungen des Grazer Rabbiners David Herzog”, Clio-Verlag, Graz 2013) ↩︎

Wie sich der steirische NS-Verbrecher Sigfried Uiberreither seiner Bestrafung entzog?

Wir bummeln durch das Zentrum von Graz und beim Burgtor sehen wir diese Inschrift in einem Rundbogen. Die Krümmung, die Örtlichkeit lassen kaum zu den Text zu lesen oder gar gut zu fotografieren. Wem wird hier gedacht? Was wird anklagt? Eine seltsame Inschrift in welchen historischen Bezug?Welche Funktion haben die Ketten? Ist hier etwas symbolisch weggesperrt oder sind die Ketten gar Symbole der Zrückhaltung der Aufklärung der Geschehnisse?

„Passant, willst du wissen, wo du stehst? Willst du wissen, Unschuldiger, wer du bist? Wie du dich krümmst, wenn du der Macht verfällst, zu ihrem Spielball und Opfer wirst? Willst du wissen, wie du vor Schmerz schreist? Ich, Sigfried Uiberreither alias Friedrich Schönharting, ging hier vom 9. Juni 1938 bis 31. März 1940 meiner Arbeit nach. Ich brachte als Landeshauptmann der Steiermark und in der Ausübung meiner sonstigen Ämter viele Menschen um. Ich tat es nicht alleine. Ich tat es nicht selbst. Ich hatte Mitarbeiter. Wenn du durch das Tor gehst, schäme dich nicht nur für mich. Wer suchte nach mir? Wer stellte mich vor Gericht? Warum hast du geschwiegen? Wer hat dich zum Komplizen gemacht?“1

Nicht nur die Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch ein Auseinandersetzen mit der Gegenwart soll dieses Mahnmal mit sich bringen, wünschte sich Werner Fenz, Leiter des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark. 2

Die Erinnerung der Vergangenheit wird nicht nur mit dem Aufzeigen der Greueltaten der Täter dargestellt. Ihre Namen, Rollen, Funktionen kommen in den Mittelpunkt der Betrachtung. Was ist mit den Opfern? Wie und Wo haben sie gelebt? Was haben sie beruflich gemacht? Sie werden bei diesem Mahnmal wieder einmal versteckt. Das ist eine Erinnerungskultur an die Täter. Klar, ihre Taten müssen vor den Vorhang des Vergessens, des Verschweigens hervorgeholt werden, unbedingt. Genauso notwendig ist den Opfern eine Bühne in unserem Geschichtsbewusstsein zu geben, denn sie und nur sie haben das Unrechtssystem in Frage gestellt. Den Mitläufer:innen, die weggeschaut haben, die angeblich nichts gesehen haben, die heimlichen Profiteur:innen, müssen in das Antlitz der Opfer sehen, um wie in einem Spiegel die Qualen der Opfer als Synonym ihres eigenes Versagen zu spüren. Vielleicht schafft das Nachdenken darüber ein neues, aktiveres Demokratieverständnis. Natürlich hat dieses Denkmal dahingehend auch eine aufklärende Funktion. Jede und jeder sollte sich fragen „Was will uns dieses Denkmal sagen?“

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Was machen der Führer und der Duce in einer Grazer Kirche?

Und nein, es handelt sich nicht um einen Fall für das NS-Verbotsgesetz.

Beim Lösen eines Adventure Lab während einer Geocachingtour stellt sich uns in Graz in der Herrengasse diese Frage. Angeblich sollen auf einem Kirchenfenster in der „Stadtpfarrkirche Zum Heiligen Blut“ Hitler und Mussolini zu sehen sein.

Die römisch-katholische Kirche zum Heiligen Blut ist die Grazer Stadtpfarrkirche. Im 2. Weltkrieg wurden die gotischen Glasfenster zerstört. Mit der Neugestaltung wurde Albert Birkle, dessen Kunst im Dritten Reich als entartet galt, beauftragt. Die Fenster wurden zum Skandal, denn sie zeigen Hitler und Mussolini an der Seite der Peiniger Christi. Vor dem Altar stehend das linke Fenster, in der rechten Hälfte dieses Fensters im vierten Teil von unten, findest du die Beiden.
Diesen Hinweis verdanken wir dem Geocacher thombeluga  mit seinem Tourist Lab – Unbekanntes Graz.

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Maria Cäsar – „Ich bin schon immer eine politische Frau gewesen!“

Ilse Wieser schreibt über die Grazer Widerstandskämpferin und Menschrechtspreisträgerin des Landes Steiermark

Die Basis ihrer politischen Tätigkeiten bildete die Forderung nach Gerechtigkeit. Ihre Kindheit und Jugend in einer ArbeiterInnenfamilie in Judenburg war geprägt vom Stolz auf die Klassenzugehörigkeit im Sinne der ArbeiterInnenbewegung, einer sozial, wirtschaftlich und politisch benachteiligten Gesellschaftsschicht. Ihre Familie war im Umfeld der Sozialdemokratie und des Republikanischen Schutzbundes aktiv, der Arbeiterwille wurde gelesen und diskutiert: es wurde politisiert. Hier entstand ihr Protestpotenzial. Maria Cäsar war überdies ein Mädchen, das sich nicht in die vorgeformte Rolle fügte: Sie liebte Debatten, blieb dem

Religionsunterricht fern und setzte sich gerne durch. Sie genoss aber auch die Gemeinschaft ihrer Jugendgruppe. Die Herrschaft des autoritären Ständestaates ab 1934 traf dann die Jugendliche unmittelbar: die Roten Falken, die linke Jugendorganisation, der sie angehörte, wurde verboten.1

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Stolpersteine in Graz

Aus dem Sausal kommend besuchten wir Graz für einige Tage. Herrliche, sonnige Herbsttage im Oktober tauchten die Stadt in die kräftigen Farben des „Indian Summer“. Mit dem grünen Linien der Grazer Verkehrsbetriebe fuhren wir von Bad Straßgang zum Jakominiplatz im Zentrum von Graz.
In Graz gibt es über 200 Stolpersteine und als begeisterte Geocacher*innen und Geschichtsinteressierte widmeten wir uns einem Projekt, das uns „doppelt“ interessierte. Ein/e Cacher/in namens „epikurios“ hat einen Adventure Lab durch die Grazer Innenstadt zu den Stolpersteinen gestaltet. Dabei wurden fünf Orte mit Stolpersteinen herausgegriffen, um das mittlerweile weltweit zum größten Mahnmal entwickelt Gedenkvorhaben der Cachercommunity näher zu bringen. Für mich ein gelungenes Projekt, das zeigt wie man Geschichte und Hobby miteinander vereinbaren kann.

Mit im Boden verlegten kleinen Gedenktafeln, sogenannten Stolpersteinen, soll an das Schicksal der Menschen erinnert werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.

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Stolpersteine

Denning - blog

Stolpersteine nennt sich ein Projekt des Künstlers Gunter Demnig. Mit Gedenktafeln will er an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden.Demnigs Intention ist unter anderem, den NS-Opfern, die in den Konzentrationslagern zu Nummern degradiert wurden, ihre Namen zurückzugeben. Das Bücken, um die Texte auf den Stolpersteinen zu lesen, soll eine symbolische Verbeugung vor den Opfern sein. Mit der Markierung der „Tatorte von Deportationen“, die häufig mitten in dichtbesiedelten Bereichen liegen, wird gleichzeitig die von einigen Zeitzeugen vorgebrachte Schutzbehauptung, nichts von den Deportationen bemerkt zu haben, in Frage gestellt.(1)

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