Ein Mahnmal für Nazi-Opfer in St. Pantaleon

Teil 2: Das Anhaltelager für Roma und Sinti

Das Anhaltelager (Zigeunerlager) wurde nach der überhasteten Schließung des ersten Lagers aufgrund einer Anzeige des Lagerarztes im Jänner 1941 eingerichtet und bestand bis November des Jahres. Österreichische Sinti und Roma, darunter weit über 200 Kinder und Jugendliche, wurden interniert, die Männer zur Zwangsarbeit an der Moosach eingesetzt. Namentlich bekannte Todesopfer sind Maria Daniel (5) aus Eggerding, Rudolf Haas (1 Monat) aus St. Pantaleon, Maria Müller (74) aus Höhenbergen/Kärnten. Mehr als 300 Sinti und Roma wurden von hier deportiert, fast alle kamen im Ghetto Łodz und in Chelmno (Polen) gewaltsam zu Tode.1

Die heutige Gedenkstätte befindet sich nicht auf dem ehemaligen Gelände des Lagers.

Die hier wiedergegebenen Bilder wurden im Sommer 1941 im „Zigeuneranhaltelager Weyer“ vom Mediziner Dr. Straffne, der auch begeisterter Fotograf war, aufgenommen worden.

Im Roman Herzfleischentartung von Ludwig Laher (Haymon Verlag, März 2001) schreibt er:

Hunderte Menschen ringsumher, kaum Männer, die dürften an der Baustelle sein. Die einen lehnen an Ziegelmauern, denen der Putz schon lange abhanden gekommen ist, andere sitzen ohne eine Unterlage auf dem braunen, graslosen Lehmboden, bringen den Tag irgendwie hinter sich, bilden wir uns ein, es ist später Nachmittag, Schleierwolken stehen am Himmel. Es gibt offenbar nichts hier, womit man sich sinnvoll beschäftigen könnte, natürlich auch kein Spielzeug für die vielen kleinen Kinder. Ein Bub hält ein Hufeisen fest umklammert, eine alte Frau mit hinten geknotetem Kopftuch hat eine kalte Pfeife im Mund. Sie fällt sofort ins Auge, weil fast alle hier unendlich jung sind, Durchschnittsalter schätzungsweise siebzehn, achtzehn vielleicht. Die meisten laufen barfuß, manche besitzen ausgelatschte, kotige Schuhe, selten in passender Größe. Die Kleider sind abgetragen, ausgebeult. Aber nicht das hemmt den Gast, schließlich schauen Knechte und Mägde bei den Bauern auch nicht viel vornehmer aus.2

Die Großfamilie Rosenfels gehört zu den traditionsreichsten der Roma und Sinti – Minderheit Minderheit in Oberösterreich.3
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist davon auszugehen, daß die Familie Rosenfels untereinander Romanes sprach, und zwar dessen Unterart Sintitikes. Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Muttersprache der Sinti noch in ziemlich allgemeinem Gebrauch. Ihr Deutsch war aber zumeist ebenso perfekt, die Kinder wuchsen zweisprachig auf. Die Sinti waren gewöhnlich sehr gläubige Mitglieder der römisch-katholischen Kirche, die Taufe der Kinder war selbstverständlich.

Georg Rosenfels (Zweiter von links) und seine Klasse 1938.

Die Schulchronik Bachmannings4, längst in nationalsozialistischer Hand, vermerkt dazu 1941 zynisch: Am 19. Jänner kam der Zigeuner Rosenfels Matthias in ein Arbeitslager bei Braunau. Damit gibt es in Bachmanning keine Zigeuner mehr, was auch vom pädagogischen Standpunkte aus nur zu begrüßen ist.


Warum in der Schulchronik die Einweisung eines 48jährigen Mannes in ein NS-Lager vermerkt wird, lässt sich darauf zurückführen, dass auch seine Frau Philomena, deren Kinder Margarethe, Anna, Frieda, Georg, Maria, Monika, Leo, Hildegard und Wilhelm sowie die Enkel Marianne und Margarethe, insgesamt also nicht weniger als dreizehn Personen, darunter mehrere aktuelle und ehemalige Schülerinnen und Schüler der Bachmanninger Volksschule. Davon schweigt die Chronik allerdings.
Da niemand der 39 Internierten mit den Familiennamen Rosenfels oder Jungwirth aus Weyer entlassen wurde oder schon dort starb, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß sie alle mit Hunderten anderen oberösterreichischen „Zigeunern“, darunter fast 250 Kindern und Jugendlichen, nach Schließung des Lagers Sankt Pantaleon–Weyer Anfang November 1941 in den Transport von 5000 österreichischen Sinti und Roma nach Lodz (Litzmannstadt) ins besetzte Polen eingereiht wurden und dort bis längstens Februar 1942 im Zigeunerghetto an Hunger, Fleckfieber oder schließlich im Gas von Chelmno (Kulmhof) umkamen. Niemand der nach Lodz Deportierten kehrte je zurück.

Während im Arbeitserziehungslager der Tod noch durch den Lagerarzt dem Standesbeamten gemeldet worden war, übernahm das jetzt im Anhaltelager der Lagerführer bzw. der Verwalter. Die angeführten Todesursachen sind zum Teil äußerst merkwürdig: „Lebensschwäche“ und „Herzkollaps“ bei Kindern, „Herzfleischentartung“[3] bei einer älteren Frau. Die toten Körper der Sinti wurden nach übereinstimmenden Aussagen von Zeitzeugen zunächst in der Totengräberkammer des Friedhofs Haigermoos zwischen Kannen und Schaufeln ablegt und nachts ohne erkennbares Grab verscharrt5.

1948 kam es zu einem Verfahren vor einem Volksgerichtshof. Das Verfahren erstreckte sich jedoch wegen Flucht zweier Angeklagter bis 1952. Sie endeten mit Schuldsprüchen und Strafen zwischen 15 Monaten und 15 Jahren Haft. Alle Angeklagten kamen aber 1955 anlässlich der Amnestie zum 10-jährigen Bestehen der Zweiten Republik wieder frei. In keinem Verfahren wurde je das “Zigeuneranhaltelager” erwähnt.6

Artikeln am Blog rotespuren.at zum Thema


Quellenverzeichnis

  1. Text der Informationstafel bei der Gedenkstätte – im Originaltext wird nur von Zigeunerlager geschrieben. ↩︎
  2.  Auszug aus dem Roman Herzfleischentartung von Ludwig Laher (Haymon Verlag, März 2001) auf der Internetseite der Gedenkstätte ↩︎
  3. Ludwig Laher -Die Geschichte der Sintifamilien Rosenfels und Jungwirth in Bachmanning
    Opferschicksale aus dem NS-Lager Weyer-St. Pantaleon ↩︎
  4. Im Jahr 2011 ist für alle Bachmanninger Opfer am Ort eine Gedenktafel enthüllt worden. ↩︎
  5. Wikipedia – Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer ↩︎
  6. Salzburg-Wiki – Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager St. Pantaleon-Weyer ↩︎

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