Spiegel gegen das Vergessen

Unser erster Rundgang in Berlin führt uns mit Trille in ein der ersten Nazi-Hochburgen in Berlin in den Bezirk Steglitz. Der Hermann-Ehlers-Platz gegenüber dem Rathaus Steglitz ist so etwas wie das Zentrum des Ortsteils Steglitz. Wir treffen auf einen Markt mit allerlei Köstlichkeiten und verführerischen Düften. Inmitten dieses bunten Marktgeschehen eine Gedenkstätte, die an eine ehemalige Synagoge erinnert und an die anitisemitischen Gräueltaten der Bewohner:innen dieses Stadtteils vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus.

Am 7.6.1995 wurde das Denkmal enthüllt.

Auf diesem 9m langen und 3,50m hohen „Spiegel gegen das Vergessen“ sind die Namen, Geburtsdaten und Adressen von 1.723 aus Berlin depor­tierten Jüdinnen und Juden wieder­gegeben.

„Man hat ihnen die Berufe genommen, das Besitztum gestohlen, sie durften nicht erben oder vererben, sie durften nicht auf Parkbänken sitzen oder einen Kanarienvogel halten, keine öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, keine Restaurants, keine Konzerte, Theater oder Kinos besuchen, für sie galten bestimmte Rassengesetze, ihnen wurden sämtliche staatsbürgerlichen Rechte entzogen, die Freizügigkeit wurde ihnen genommen, ihre Menschenrechte und ihre Menschenwürde wurden in den Staub getreten, bis sie in Konzentrationslager deportiert wurden und in die Gaskammern kamen … Die Opfer waren Juden … Der gelbe Stern kennzeichnete sie.“1

Das Grundstück in der heutigen Düppelstraße 41 wurde 1871 vom Kaufmann Moses Wolfenstein erworben. Er baute 1897 ein ehemaliges Stallgebäude zur Synagoge für die Gemeinde um. Steglitz war schon immer Ort jüdischen Lebens, Anfang der 1930er Jahre bestand die Gemeinde aus 4000 Mitglieder.2

In der Reichspogromnacht am 9. November 1938 wird die Synagoge von SA- und SS-Leuten verwüstet und geschändet. Kurt Wolfenstein, der Gemeindevorsitzende, konnte mit den Thorarollen der Synagoge in die USA fliehen. Wegen seiner Lage in einem dicht bebauten Areal und der Nachbarschaft zu einer Tischlerei wird das Gebäude jedoch nicht angezündet. Auch bei einem Bombenangriff im Jahr 1943 wird es nur leicht beschädigt. Das Geschäftshaus im vorderen Teil des Grundstücks aber wird zerstört.3

Ende der 80er-Jahre sollte die ehemalige Synagoge abgerissen werden, weil an dieser Stelle eine Ladenpassage geplant war. Aber der in dieser Zeit gegründete Verein zur Erhaltung der ehemaligen Synagoge Steglitz und zur Förderung interkultureller Begegnungen kämpfte um den Erhalt und protestierte gegen die Pläne. Die Initiative Haus Wolfenstein erreichte 1989, dass das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt und Anfang der 90er-Jahre saniert wurde. Allerdings scheiterten die Pläne des Vereins, hier ein Zentrum für jüdische Kultur und eine internationale Begegnungsstätte einzurichten. Nach dem Neubau des Vorderhauses befindet sich die ehemalige Synagoge im Hinterhof – für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Heute erinnert nur noch die Spiegelwand an die Synagoge. Das Mahnmal wurde nach langer politischer Auseinandersetzung auf dem Hermann-Ehlers-Platz errichtet. Die neun Meter lange und 3,50 Meter hohe Wand entspricht genau der Länge des Synagogenbaus. Die Inschriften erinnern an die Geschichte der Synagoge und enthalten die Namen von 1723 deportierten jüdischen Bürgern aus Berlin.

Verschiedene Gedanken entstehen in mir über den Ort der Spiegelwand. Hier inmitten des Marktgeschehens werden fast alle Marktbesucher:innen trotz aller Ablenkungen des Marktgeschehens mit der Gedenkstätte konfrontiert. Allerdings erinnerte mich der kümmerliche, vertrocknete Gedenkkranz bei Spiegelwand ob nicht der Alltag des Marktes in Wirklichkeit ein „Verkümmern“ des Gedenkens bewirkt. Der Trubel des Marktalltags versus dem stillen Gedenken an die Opfer.


Quellenangaben:

  1. Gedenktafeln in Berlin ↩︎
  2. Jüdisches Leben und Geschichte in Steglitz ↩︎
  3. Berliner Woche am 10. Jänner 2018 – Auf den Spuren jüdischen Lebens in Steglitz ↩︎