Streik der Giesser in den Rüsch-Ganahl-Werken im Jahre 1910

,,Streiks gehören hierzulande unter die noch unbekannten Dinge”

Gewerbeinspektor 1884 in Vorarlberg 2

Die Vorarlberger Unternehmer, soweit sie sich durchsetzen konnten, sind im laufe
des 19. Jahrhunderts immens reich geworden – soviel steht eindeutig fest. Den Grund
für diesen Reichtum haben aber Generationen von Vorarlberger ArbeiterInnen, Männer,
Frauen, Kinder gelegt, ihr Schweiß und ihre Kraft waren das Baumaterial, aus welchem
das Gebäude des Fabrikantenreichtums erwuchs.1

Einen lang anhaltenden Streik hatten die 38 Eisengießer der Maschinenfabrik Rüsch-Ganahl in Dornbirn auszukämpfen. Sie standen 1910 – 91 Tage lang im Ausstand, weil
der Arbeitgeber einen Kollektivvertragsentwurf und Lohnerhöhungen abgelehnt hatte.2

Eine Infotafel am Pfad “Manchester des Rheintals” – Stadtspuren für die Industriestadt Dornbirn

Gesellschaftliche Situation5

Der sprunghafte Anstieg der Lebensmittelpreise um 1910 war eine Erscheinung der gesamten österreichisch-ungarischen Monarchie. Österreich wies die höchsten Getreidepreise der Welt und übermäßige Fleischpreise auf.

In der Tat hatte die Stadt Dornbirn in diesen Jahren die Gemeindesteuern erhöht, was die Mietpreise beträchtlich verteuerte. Der Brotpreis lag 1910 bei 36 Heller/Laib bzw. Weggen.
Die Stadtvertretung bedauerte, daß der Brotpreis trotz niedriger Mehlpeise nicht herunterging. Im März desselben Jahres stieg auch der Zuckerpreis von 82 auf 88 Heller/Kilogramm. Am empfindlichsten spürten die Familien aber die steigenden Fleischpreise. Laut „Dornbirner Gemeindeblatt” kostete das Kilogramm Ochsenfleisch zwischen 1,60 und 2 ,- Kr., Schweinefleisch 2,28 bis 2,40 Kr. und Kalbfleisch gar 2,60 Kronen.

Die Schundlöhne der Firma Rüsch – Ganahl
Die Giessermeister bekamen 6 bis max. 8 Kronen. Sie mussten dafür nicht 10 Stunden wie ihre Kollegen in anderen Betrieben, sondern bis zu 15 Stunden am Tag. Die Firma beschäftigte gut qualifizierte junge Schlosser, die nach 4 Jahren nicht mehr als 2,80 Kronen ausbezahlt bekamen.3 Der Durchschnittslohn für Giessereiarbeiter lag zwischen 3,60 und 4,80 Kronen, für Hilfsarbeiter 3,20 und 3,40 Kronen.5

Die Streikforderungen4

  • Ausbezahlung von Mindestlöhnen von 34 bis 42 Heller pro Stunde.
  • Erhöhung der Mindestlöhne ab 1. März 1911 um 3 Heller.
  • Erhöhung der Mindestlöhne ab 1. März 1912 um 2 Heller.
  • Arbeitsschluss am Samstag um 17:00 Uhr ohne Lohnabzug.
  • Arbeitsschluss an Vorabenden von hohen Festtagen um 16:00 Uhr ohne Lohnabzug.
  • Jene Arbeiter, die durch vorstehende Lohnregulierung keine Begünstigung erfahren, erhalten eine 20%ige Lohnaufbesserung.
  • Die Akkordarbeit soll abgeschafft werden, eventuell diesen Arbeitern ein Grundlohn von 48 Hellern gesichert werden.

Als nach drei Wochen die Firma noch immer keine entsprechende Zusage machte, beschlossen die Arbeiter einhellig, die Kündigung zu überreichen.4 Offizieller Streikbeginn war der 25. Juli 1910.

Mitten im Streik im August 1910 heuerte die Firma Streikbrecher an. Jedes Mittel war ihnen recht, 70jährige ehemalige Arbeiter wurden genötigt wieder in den Betrieb zu kommen. Sie warben in Wien Streikbrecher an, ohne den Arbeitssuchenden zu sagen, dass gestreikt werde. Auf der anderen Seite die Giesser, die für bessere Löhne kämpften.

Ihr Gießer, bleibt fest! Ihr habt so lange schon mit euren Familien gedarbt bei den “hohen” Löhnen der Firma Rüsch-Ganahl, Aktiengesellschaft, jetzt könnt ihr auch weiter darben, bis der Hochmut der Fabrikanten und Millionäre, die Euch und uns täglich ausbeuten und deshalb nicht ärmer, sondern reicher werden, niedergerungen ist.

Schorsch in der Vorarlberger Wacht 4. August 1910 – ÖNB-ANNO

Medienmacht und Staatsmacht gegen die Arbeiter

Die Fabriksbesitzer von Rüsch-Ganahl nutzten ihren ihren Einfluss bei der Landeszeitung, dem Vorarlberger Volksblatt und dem Vorarlberger Volksfreund, um ein firmeneigenes Flugblatt mit falschen Behauptungen unter die Leute zu bringen.
Gleichzeitig patroullierten zwei Gemeindepolizisten vor dem Werkstor, um die Streikposten einzuschüchtern und sie auf Schritt und Tritt zu verfolgen.

Willkür und Schikanen der Meister

Da ist die Rede von einem Meister, der Lehrlinge trotz abgeschlossenem gültigen Lehrvertrag einfach entließ, wenn sie ihm nicht „nach der Pfeife tanzten”. Ein anderer wird in der „Wacht” als „Prügelmeister” bezeichnet:

Dieser Herr besitzt anscheinend sehr freie Umgangsformen und eine besondere Lust, die Lehrlinge der Gießerei zu schikanieren. Wegen jeder Kleinigkeit werden die jungen Leute angeschnauzt, bedroht oder, wie es in der vergangenen Woche der Fall war, sogar mißhandelt. Ein Beispiel von der Roheit dieses Menschen zeigt der folgende Fall: Der Lehrling M. hatte eine Anordnung des Meister überhört; statt nun diese Anordnung zu wiederholen,
wie es jeder vernünftige Mensch getan haben würde, hatte Schwalenberger nichts Eiligeres zu tun, als den Lehrling derart zu schlagen, sodaß derselbe durch längere Zeit bewußtlos liegenblieb und hernach ärztliche Hilfe in Anspruch nehmenmußte . . 4

Quellenverzeichnis