Bericht über unsere Studienreise zur Geschichte der Rom:nija in Burgenland

15.-16. Oktober 2022 von Elisabeth Luif

Im Rahmen unserer jährlichen Studienreise beschäftigten wir uns diesmal in einer Gruppe von 15 Personen während eines zweitägigen Ausflugs mit der Geschichte Roma und Romnija im Burgenland:

Eine Volksgruppe zwischen Disziplinierung, Verfolgung, Vernichtung und dem Kampf um Anerkennung.

Station 1: Einführung in Mattersburg

Nach einer gemeinsamen Anfahrt aus Wien begannen wir unser Programm im 70er Haus der Geschichten in Mattersburg. Dort gaben Elisabeth und Georg Luif einen Überblick zur Geschichte der Rom:nija im Burgenland.

Seit Jahrhunderten lebt diese eine Minderheitengruppe in einem sprachlich und kulturell vielfältigen Gebiet, gemeinsam mit der deutschen, ungarischen, kroatischen und jüdischen Bevölkerung. Traditionell baten Rom:nija verschiedene Dienstleistungen für die bäuerliche Bevölkerung an, sie waren Scherenschleifer, Schmiede, Korbflechter, Musiker oder Pferdehändler. Die wirtschaftliche Situation war dabei oft von Armut geprägt.

Im 18. Jahrhundert setzte eine staatliche Assimilierungspolitik ein. Rom:nija sollten durch „Zivilisierung“ an die Mehrheitsbevölkerung angepasst werden. Dies änderte sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der Industrialisierung und Entstehung eines modernen Staatswesens.

Nun wurde die Bevölkerung – vor allem die sozialen Unterschichten – einer stärkeren Kontrolle unterworfen. Bettelei und Landstreicherei wurden verboten, mittellose Personen konnten in ihre Heimatgemeinden abgeschoben werden. Davon waren viele Rom:nijabetroffen. Mit dem „Zigeunererlass“ von 1888 wurden sie erstmals explizit behördlich verfolgt, viele wurden von Österreich nach Westungarn (dem heutigen Burgenland) abgeschoben. 

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zerfall der Monarchie wurde das Burgenland im Jahr 1921 Österreich zugesprochen. Es war ein armes Bundesland mit wenig Industrie und Infrastruktur, und einem multikulturellen Erbe.

Vor diesem Hintergrund konstatierten die Behörden ein „Zigeunerproblem“. Dieses sollte nicht durch eine Verbesserung der sozialen Situation gelöst werden, sondern durch verstärkte polizeiliche Verfolgung. Die Roma-Bevölkerung wurde in „Zigeunerkartotheken“ erfasst, es gab sogar Vorschläge zur Abschiebung auf Inseln im Stillen Ozean. Diese Schritte bildeten die Basis für die Ermordung der Burgenland-Rom:nija im Nationalsozialismus (siehe Station 2).

Festnahme eines burgenländischen Rom in der Zwischenkriegszeit. Solche Fotos wurden von Behörden aufgenommen, um die Polizeiarbeit zu legitimieren. (Quelle: Gerhard Baumgartner/Herbert Brettl: „Einfach Weg!“ Verschwundene Romasiedlungen im Burgenland, Wien 2020, S. 29)

Bei dem einführenden Überblick wurde deutlich, dass die Verfolgung der Rom:nija zunächst Teil einer breiteren Offensive gegen Arme war. Doch die Kategorie „Zigeuner“ wurde zunehmend ethnisiert: Die vorherrschende Armut in der Roma-Bevölkerung wurde nicht mehr als soziales Problem gesehen, sondern mit angeblichen „rassischen“ Dispositionen erklärt.

Der Begriff „Zigeuner“ war dabei stets eine negativ konnotierte Fremdbezeichnung durch Behörden und Mehrheitsbevölkerung. Heute wird die Eigenbezeichnung Roma und Sinti als Überbegriff für sprachlich und kulturell verschiedene Gruppen verwendet.

Gruppenarbeit

Im Anschluss beschäftigten wir uns in vier Kleingruppen mit unterschiedlichen Dokumenten zur Situation der Burgenland-Rom:nija. Eine Gruppe beschäftigte sich am Beispiel von Akten des Bezirksgerichtes Mattersburg aus den 1930er Jahren mit der behördlichen Verfolgung. Dabei wurde deutlich, wie Gesetze zur Verfolgung dienten. Viele Rom:nija wurden mehrmals wegen Bettelei oder kleineren Diebstählen zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Auszug aus dem Strafakt gegen Barbara Horvath wegen Holzdiebstahl (Burgenländisches Landesarchiv, Bezirksgericht Mattersburg, Strafakten 1931-1939, Kt. 3, Zl. 37/1936)

Eine zweite Gruppe las die Propagandaschrift „Die Zigeunerfrage“ (1938) verfasst vom burgenländischen Nazi-Gauleiter Tobias Portschy. Darin bezeichnete er die Rom:nija als „nomadische Schmarotzerrasse“ und forderte Sterilisierungen, Arbeitspflicht, Aussiedlung und die Gleichstellung mit Jüd:innen. Was zunächst als Radikalisierung der politischen Debatten begann, endete mit der Ermordung in Konzentrationslagern.

Zwei weitere Gruppen beschäftigen sich mit Eigendarstellungen der Rom:nija. Eine Gruppe schaute ein lebensgeschichtlichen Interview mit Adolf Papai, das im Rahmen der Reihe MriHistorija aufgenommen wurde. Er wurde von den Nazis im Lager Lackenbach inhaftiert, überlebte den Holocaust (im Gegensatz zum Großteil seiner Verwandten) und wurde später ein erfolgreicher Musiker.

Die vierte Gruppe las Auszüge aus dem Buch Atsinganos von Stefan Horvath. Darin beschreibt dieser die Geschichte der verschiedenen Roma-Siedlungen in Oberwart, die immer weiter an den Stadtrand verdrängt wurden. Beide Gruppen betonten, dass weder Adolf Papai noch Stefan Horvath verbittert und mit Hass über ihre Beziehungen zur deutschen Mehrheitsbevölkerung sprachen.

Buchcover von Stefan Horvaths Buch Atsinganos

Station 2: KZ-Gedenkstätte Lackenbach

Nach einer Mittagspause besuchten wir am Nachmittag die Gedenkstätte des nationalsozialistischen „Zigeunerlagers“ Lackenbach. Nach dem „Anschluss“ an das Deutsche Reich im März 1938 kam es zu einer raschen Radikalisierung der „Zigeunerpolitik“. Die lokalen Behörden sahen nun ihre Chance gekommen, die Überlegungen aus der Zwischenkriegszeit zu realisieren. 

Es begann zunächst mit weiteren gesetzlichen Ausgrenzungen (z. B. Verbot des Schulbesuches), Verhaftungen und Einteilungen zur Zwangsarbeit. Schließlich wurde der Plan zur Deportation gefasst. Bis diese logistisch durchgeführt werden konnten, wurden mehrere Lager eingerichtet.

Gedenken in Lackenbach

Das größte dieser Lager im ganzen Deutschen Reich wurde im November 1940 in Lackenbach errichtet. Insgesamt waren dort etwa 4000 Häftlinge unter katastrophalen Zuständen interniert. Sie wurden an umliegende Betriebe zur Zwangsarbeit vergeben. Diejenigen, die an Hunger, Krankheiten, oder durch Misshandlungen starben wurden auf dem nahe gelegenen jüdischen Friedhof in Massengräbern begraben. In den Folgejahren wurden Deportationen, u.a. in die Konzentrationslager Litzmannstadt und Auschwitz durchgeführt. Etwa 300 bis 400 Häftlinge erlebten die Befreiung des Lagers durch sowjetische Truppen im April 1945. 

Schätzungen zufolge wurden insgesamt 500.000 Rom:nija durch die Nazis ermordet. Von den 8.000 Burgenland-Rom:nija überlebten nur rund 900 Personen den Porajmos, den Holocaust an den Rom:nija. 

Vom Lager ist – bis auf zwei Gedenksteine – heute nichts mehr zu sehen. Zum Abschluss des Tages besuchten wir zwei weitere Denkmäler in Ritzing und Langental. Diese gedenken den Opfern des Nationalsozialismus, was in beiden Orten mehrheitlich Rom:nija waren.

Station 3: Besuch Roma-Service in Oberwart

Am zweiten Tag unserer Reise besuchten wir den Verein Roma-Service in Oberwart. Dort konnten wir im Gespräch mit dem Obmann Emmerich Gärtner-Horvath über die Situation der Burgenland Rom:nija seit 1945 erfahren.

Ab den 1960er und 70er Jahren begannen Rom:nija sich selbst zu organisieren und gegen die erfahrene Diskriminierung aufzutreten. Neben der Identität durch die Sprache Romanes war die gemeinsame Verfolgungserfahrung im Nationalsozialismus zentral für ein neues Selbstverständnis. 

1989 wurde der erste Roma Verein gegründet, er bot Berufsberatung und außerschulische Lernbetreuung an. Bald wurde ein Projekt zur Verschriftlichung und Vereinheitlichung der österreichischen Romasprachen durchgeführt. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus begann. 1933 konnte endlich die Anerkennung als sechste österreichische Volksgruppe erreicht werden. 

Im Anschluss besuchten wir die Gedenkstätte für das Attentat in Oberwart im Februar 1995. Dort wurden 4 Freunde und Bewohner der Roma Siedlung, Josef Simon, Peter Sarközi, Karl Horvath und Erwin Horwath, durch eine Sprengfalle des Rechtsextremisten Franz Fuchs ermordet. Durch dieses Attentat wurden die in den vorangegangenen Jahren aufgebauten Strukturen der Roma Community wieder in Frage gestellt. Für viele stand das Attentat auch in einer Kontinuität mit der Verfolgung während dem Nationalsozialismus.

Erwin Horvath, Karl Horvat, Josef Simon und Peter Sarközi wurden beim Attentat in Oberwart 1995 ermordet.

Die österreichischen Volksgruppen veröffentlichen folgende Resolution:

50 Jahre nach Auschwitz werden Angehörige der österreichischen Volksgruppen wieder ermordet oder müssen um ihren Leib und ihr Leben fürchten, einzig deshalb, weil sie einer Volksgruppe angehören. Das heutige Schicksal der Roma ist auch eine Folge der nichterfolgten österreichischen Vergangenheitsbewältigung. Von den 400 Bewohnern der Roma-Siedlung in Oberwart überlebten nur zwei Dutzend die Nazigräuel. Die Mehrheit wurde in den Konzentrationslagern ermordet oder ist in Anhaltelagern wie Lackenbach umgekommen. Nach dem Krieg gab es keine Hilfe oder Wiedergutmachung. Die Überlebenden wurden in Barackensiedlungen an den Rand der Gesellschaft abgedrängt. Abgeschoben und verdrängt wie das Gewissen Österreichs.“ (Quelle)

Sie forderten darin mehr Unterstützung für die österreichischen Rom:nija in den Bereichen Arbeitsmarkt, Wohnungen, Bildung, Kultur sowie Entschädigungen für KZ-Überlebende. Seitdem konnte einige Erfolge erreicht werden und es gibt eine stärkere Präsenz im öffentlichen Diskurs. Dennoch sind die Rom:nija in ganz Europa weiterhin von hartnäckiger Diskriminierung betroffen.

Besuch der Gedenkstätte in Oberwart

Station 4: Anschlussdenkmäler in Oberschützen

Nach einer Mittagspause beim Stadtwirt Oberwart besuchten wir als letzte Station unserer Reise die sogenannten Anschlussdenkmäler in Oberschützen. Sie zeigen die Zustimmung vieler Österreicher:innen zum Nationalsozialismus. Oberschützen ist eine Schulstadt etwa 7km nördlich von Oberwart und war bereits in der Zwischenkriegszeit stark deutschnational geprägt.

Im Jahr 1931 wurde neben der Volksschule ein „altgermanischer Opferstein“ errichtet. Er sollte nicht nur an die Angliederung des Burgenlandes an Österreich zehn Jahre zuvor erinnern, sondern stellte auch die Forderung an den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich.

Das kleine Anschlussdenkmal in Oberschützen (1931) mit der Inschrift „Deutsch Allezeit“ (Quelle)

Als dieses Ziel im Jahr 1938 erreicht wurde, ging die lokale Bevölkerung an die Errichtung eines zweiten, monumentalen Anschlussdenkmals. Es wurde im Mai 1939 feierlich eröffnet, sollte den Kampf des Burgenlandes um das Deutschtum symbolisieren und Feinde aus dem Südosten abschrecken. Es war als tempelartige Anlage konzipiert, in dessen Mitte ein vergoldeter Adler mit Hakenkreuz und der Inschrift „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ prangte.

Besuch des Anschlussdenkmales in Oberschützen

1945 wurde der Reichsadler durch sowjetische Truppen gesprengt, die Tempelanlage blieb aber erhalten. Es gab einige erfolglose Debatten um den Abriss, grundsätzlich blieb die Nazi-Vergangenheit aber ein Tabu-Thema. Erst ab 1980 und insbesondere nach dem Attentat in Oberwart 1995 kam zu öffentlichen Diskussionen. 1997 wurde eine Tafel von der Gemeinde angebracht, die das Anschlussdenkmal zu einem Mahnmal gegen Gewalt und Rassismus umdeuten sollte.

2016 pachtete die Gemeinde den Grund des Denkmals für 30 Jahre. 2019 startete das Projekt „Darüber Reden…“. Unter Einbindung der Bevölkerung wurde über die Zukunft des Denkmals diskutiert. Auch in unserer Gruppe debattierten wir mögliche Lösungen. Manche argumentierten für einen Abriss, da der Nazi-Hintergrund des Denkmales nicht einfach umgedeutet werden kann und nach wie vor einen Bezugspunkt für Rechtsextreme bietet. Andere meinten, dass Denkmal solle in kommentierter Form erhalten bleiben, weil sonst die Nazi-Vergangenheit verdrängt würde.

Wir beendeten unsere Reise mit einer Abschlussrunde, wo wir die Eindrücke nochmals Revue passieren ließen. Einige Teilnehmer:innen betonten, dass sie über dieses Thema bisher wenig gehört hatten. Als Folgeprojekt der Reise wollen wir einen Stadtspaziergang in Wien organisieren. 

2 Gedanken zu „Bericht über unsere Studienreise zur Geschichte der Rom:nija in Burgenland

  1. Ein Feedback hat uns per Mail erreicht:
    Danke für die Übermittlung von Sissis Bericht! Das hat mir ermöglicht meinem geschichtsinteressierten Enkel eine komplette Erzählung über die Stationen der beiden Tage quasi nachzureichen! Außerdem ersetzt der Bericht wunderbar die eigenen, rudimentären Notizen.
    Lia

  2. Per Mail hat uns erreicht:
    Vielen Dank für die Informationen und die sehr interessanten und informativen Rückblicke auf die Studienreise.
    Mit herzlichen Grüßen
    M.

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