Wie aus einer Textilgewerkschafterin die erste Bundesministerin Österreichs wurde

Veröffentlicht auf der Homepage des ÖGB unter Gewerkschaftsgeschichte. Danke an Marliese für die Recherche zu Grete Rehor.

Die erste Frau Bundesminister: Grete Rehor

Grete Rehor wurde am 30. Juni 1910 in eine gutbürgerliche Wiener Familie hineingeboren. Alles deutete auf ein gutes Leben hin. Als aber ihr Vater im Ersten Weltkrieg fiel, verarmte die Familie. Mit 14 Jahren musste sie ihren Traum, Lehrerin zu werden, aufgeben und zum Familienbudget beizutragen.


Nur eine qualifizierte Berufsausbildung dem sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg der ArbeitnehmerInnen in Österreich förderlich sein kann.

Grete Rehor

Grete Rehor wurde am 30. Juni 1910 in eine gutbürgerliche Wiener Familie hineingeboren. Alles deutete auf ein gutes Leben hin. Als aber ihr Vater im Ersten Weltkrieg fiel, verarmte die Familie. Mit 14 Jahren musste sie ihren Traum, Lehrerin zu werden, aufgeben und zum Familienbudget beizutragen.

Sie trat der christlichen Gewerkschaftsjugend bei und wurde kurz darauf ehrenamtliche Vorsitzende-Stellvertreterin. Nachdem sie die Handelsschule abgeschlossen hatte, begann sie 1927 als Angestellte im Zentralverband der christlichen Textilarbeiter zu arbeiten. Sie war für die Mitgliederanwerbung und das „Mitagieren bei Kollektivvertragsverhandlungen“ zuständig. Schon damals setzte sie sich für den Grundsatz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ein.


Im Widerstand gegen die Faschisten

In der Organisation lernte sie ihren späteren Mann, den christlichen Gewerkschafter Karl Rehor, kennen. Nach der Niederschlagung der Februarkämpfe 1934 und dem Verbot der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften während des Austrofaschismus kämpfte das Ehepaar Rehor zusammen mit den illegalen SozialistInnen gegen den gemeinsamen Feind: die Nationalsozialisten.

Wohl deshalb wurde Karl Rehor schon am 12. März 1938, am Tag des „Anschlusses“ Österreichs an das Deutsche Reich, von den Nationalsozialisten verhaftet, aber nach einigen Tagen wieder freigelassen. Kurz nach Kriegsbeginn im September 1939 wurde er in die Wehrmacht eingezogen, „zur Bewährung“ an die Ostfront, nach Stalingrad, geschickt und wenig später als vermisst gemeldet.

Nun war Rehor alleinerziehende Mutter. Das hinderte sie nicht, sich der Wiener Widerstandsgruppe um Lois Weinberger anzuschließen. Ziel der Gruppe war der Neuaufbau der Gewerkschaften, die Versorgung von Widerstandsgruppen mit Medikamenten und Verbandsmaterial sowie die finanzielle Unterstützung für Inhaftierte und deren Angehörige. Im Juli 1944 flog die Gruppe auf, Rehor entging aber der Verhaftung.


Zu Fuß zu Kollektivvertragsverhandlungen

Nach Kriegsende wurde Rehor in der 1945 neu gegründeten Gewerkschaft der Textil-Bekleidung-Lederarbeiter (TBL) „Sekretär“ sowie stellvertretende Vorsitzende in der TBL und im ÖGB-Frauenreferat.

Angetrieben vom Glauben, notierte sie in ihrem Tagebuch, dass es „nach dem, was hinter uns lag, nur besser werden konnte“, setzte sie sich für das Wiedererstarken der Gewerkschaft ein. Stundenlang ging sie zu Fuß durch die zerstörte Stadt, um Kontakt mit den ArbeiterInnen in den Betrieben aufzunehmen.

Nach Niederösterreich gelangte sie nur per „Motorradstopp“ und in Zügen ohne Fenster reiste sie in die restlichen Bundesländer. Die ersten Lohnabschlüsse wurden in ungeheizten Fabrikhallen noch stehend unterschrieben. Es war zu kalt, um sich zu setzen. Durch ihren unermüdlichen Einsatz wurde sie ihrem Ruf, „ein zähes Mädchen [zu sein], das nicht leicht aufgibt“ gerecht.

Links: Grete Rehor beim 5. Frauenkongress, 1967 Kammler/ÖGB-Archiv


Die Forderungen der Gewerkschaftsfrauen

Die Forderungsliste der Gewerkschaftsfrauen war lang und zeigte die Probleme der Nachkriegszeit auf: Wohnungsnot sowie das Fehlen von Frauenarbeitsplätzen vor allem für ältere Frauen und von Lehrstellen für Mädchen. Sie traten aber auch für Kurzarbeitsunterstützung und Arbeitszeitverkürzung ein.

All diese und weitere Forderungen vertrat Rehor ab 1950 auch als Nationalrätin für die ÖVP im Parlament. Sie war eine von nur zehn Frauen unter den 165 Abgeordneten. Parteiübergreifend setzte sie sich für die Verabschiedung des Mutterschutzgesetzes (1957) und des Hausgehilfengesetzes (1962) ein.


Zum ersten Mal sollen auch Frauen im Kabinett sitzen.

Kronenzeitung 1966


Sensationelle Pläne für die Regierung

Aus den Nationalratswahlen im Jahr 1966 ging die ÖVP als stimmenstärkste Partei hervor und wagte die Alleinregierung. Bundeskanzler Josef Klaus musste innerhalb weniger Tage zwölf „ministrable“ Personen finden. Für ihn war klar, dass jemand das „tiefrote“ Sozialressort übernehmen muss, der sich mit Kollektivvertragsverhandlungen auskennt und von den Sozialpartnern geschätzt wird. Seine Wahl fiel auf seine Bekannte aus Jugendtagen, Grete Rehor.

„Sensationelle Pläne für die Regierung“, titelte die Kronen-Zeitung im März 1966: „Zum ersten Mal sollen auch Frauen im Kabinett sitzen“. Im April 1966 übernahm Rehor das Bundesministerium für soziale Verwaltung. Von nun an arbeitete sie sechzehn Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche.

Grete Rehor im Interview für die Solidarität, 1967 Kammler/ÖGB-Archiv

Die „schwarze Kommunistin“

104 Sozialgesetze und -verordnungen tragen ihre Handschrift. Vom Arbeitsmarktförderungsgesetz, das heute noch die Grundlage für aktive Arbeitsmarktpolitik ist, über das Hausbesorgergesetz, das sie gegen den Widerstand der Opposition und von Parteifreunden durchsetzte, bis zur Novellierung des Mutterschutzgesetzes.

Aber auch das seit langem geforderte Arbeitszeitgesetz wurde 1969 verabschiedet, samt Arbeitszeitverkürzung. Sie erreichte günstigere Pensionsanrechnungszeiten für Opfer politischer, religiöser und rassistischer Verfolgung sowie die Wiederbelebung der Lebensmittelkommission, trieb die Kodifizierung des Arbeitsrechtes voran, brachte das TBC-Gesetz durch und setzte sich für die Umsetzung einer „alten“ Gewerkschaftsforderung ein: das Berufsausbildungsgesetz (1969).

In ihrer Amtszeit stieg das Sozialbudget von 9,7 auf 16 Milliarden Schilling, die Pensionen legten real um 22 Prozent zu. Innerparteilich wurde sie kritisiert, ihre Haltung gegenüber den SozialdemokratInnen sei zu konziliant. Im Volksmund hieß sie längst die „schwarze Kommunistin“. Selbst ihre GegnerInnen mussten eingestehen, dass sie konsensbereit, aber auch sehr beharrlich sei.

Mit der Wahlniederlage der ÖVP 1970 verlor sie ihr Ministeramt und legte daraufhin ihr Nationalratsmandat nieder. Bis ins hohe Alter war sie Vizepräsidentin der ARGE-Dachorganisation für 61 Behindertenverbände.

Grete Rehor starb am 28. Jänner 1987 in Wien.


Siehe auch Artikel – Grete Rehor von Brigitte Drizhal