Ein Mahnmal für Nazi-Opfer in St. Pantaleon

Teil 1 – Zwangsarbeit

Bei unserer Radtour im Süden des Bezirk Braunau treffen wir auf die Erinnerungsstätte zu Zwangsarbeit und einem Anhaltelager für Roma und Sinti. Die Gedenkstätte wirkt ungepflegt und das Gras überwucht die Steinplatten, die zum Mahmal führen. Bei den Hinweistafeln räumen wir den Müll weg.

Schon im Juni 1940 wurde in St. Pantaleon (die ersten Wochen allerdings noch auf der Salzburger Seite des Flüßchens Moosach) auf Drängen des Gaubeauftragten für Arbeitserziehung Franz Kubinger vom Reichsgau Oberdonau ein Arbeitserziehungslager (behördlich oft auch als Arbeitsgemeinschaftslager Weyer-Haigermoos bezeichnet) für jene Volksgenossen eingerichtet, die von Bürgermeistern, Landräten, aber auch Funktionären der deutschen Arbeitsfront für arbeitsscheu oder asozial erklärt wurden, oft aber gewöhnliche Mitbürger waren, die einzig aus privaten Gründen oder wegen kritischer Bemerkungen „entsorgt“ wurden. Dieser Personenkreis mußte als Zwangsarbeiter schuften, um das Ibmer Moor zu entsumpfen und so der Natur „neues Bauernland abzutrotzen“.1

Nach dem Durchlesen der Texte auf den Gedenktafeln überlege ich mir „wäre das HEUTE möglich“? Vor ein paar Jahren hätte ich das sicher und bestimmt verneint. Wenn ich die heutige öffentliche Diskussion verfolge, wo die „Konzentration“ von Menschen, die flüchten mussten, gefordert wird, wo die Wohnungen derer, die vor Krieg, Bomben, Terror und Verhungern geflohen sind, vor gewaltigen Mitbürgern beschützt werden müssen. Wenn in Bierzelten in alkoholisierter Stimmung gegen politisch Andersdenkende in abwertender Sprache gehetzt wird. Dann kommen mir ZWEIFEL.

Ludwig Laher schreibt in seiner Passionsgeschichte des Josef Mayer:

Sie hatten nur das Pech, den NS-Gewaltigen aus den verschiedensten Gründen lästig zu sein. Da ist der Sägewerksgeschäftsführer, der es wagt, einem lokalen Nazi-Boss eine Mahnung zu schicken, weil der das Brennholz, das er für sich privat bestellt hat, einfach nicht bezahlen will, da ist der Lehrling, der, vom Lehrherrn fast jedes Wochenende ausgebeutet, am einzigen freien, für die HJ reservierten Sonntag im Monat den Kumpanen, die ihn zum Wehrsport abholen kommen, ausrichtet, es interessiere ihn nicht, er müsse einmal ausschlafen. Und da ist Josef Mayer aus Neukirchen.
Alle drei und viele andere Schicksalsgenossen werden ins Lager Weyer-St.Pantaleon eingewiesen, überleben mit Glück relativ unbeschadet wie der Lehrling, ziehen sich unter den schrecklichen Bedingungen des Lagerlebens chronische Leiden zu wie der schwer traumatisierte Sägewerksgeschäftsführer, der kurz nach dem Krieg daran zu Grunde geht.

Oder sie werden wie Josef Mayer totgefoltert.2

Der Rauchklub Neukirchen mit seinem Mitglied Josef Mayer (hinten 2. von rechts). Am 23. Dezember 1940 wird Josef Mayer freilich als Asozialer in Lagerhaft genommen, am 27. Dezember ist er tot.

Diese Doppelmoral solcher sich christlich nennenden Gemeinschaften – am Sonntag in die die Kirche gehen und zwei Stunden später im Wirtshaus „ein kleiner Hitler gehört wieder her“ oder „dieses arbeitsscheue Gsindel gehört eingesperrt“ habe ich oft genug gehört.

Der Tod von Josef Mayer

Am ersten Tag im Lager knallt der Lagerkommandant August Staudinger dem einundvierzigjährigen gelernten Schuster zum Auftakt aus nichtigem Anlaß, wie’s bei ihm der Brauch ist, die Faust ins Gesicht.

Am Heiligen Abend, dem zweiten Tag im Lager, an der Baustelle: Josef Mayer wird mit einer Gummiwurst so heftig geschlagen, daß er zu Boden stürzt. Gegen Mittag schleicht er sich von Rückenschmerzen ganz gebückt zurück in die Reihe. Antreten zum Essen. Josef ist der SA entschieden zu langsam, steht überdies nicht ordentlich aufrecht und stramm, wie es sich gehört. Dieser Neue wird noch viel lernen müssen oder schnell wieder ausscheiden. Erneut die Prügel, bis er in Ohnmacht fällt. Der schneidige Alois hält ihm die Pistole an die Schläfe und droht abzudrücken. Mayer reagiert nicht mehr, er bleibt vorerst im Schnee liegen. Schließlich wird der Bewußtlose auf einen Schlitten verfrachtet.
SA-Sturmführer Gottfried Haimbuchner hält nach dem Essen in Vertretung des Lagerkommandanten die kurze Festrede. Nach der Rede gibt es die vom Lagerkommandanten erfundene „Weihnachtszüchtigung“. Alois Rosenbichler, Gottfried Haimbuchner und Josef Mayrlehner3 ans große Werk.

An die zehn Objekte werden ausgewählt, unter ihnen was noch da ist von Häftling Josef Mayer. Hose runter. Sie werden, einer nach dem anderen, nackt auf eine Bank geschnallt. Mitgefangene müssen sie an den Beinen und am Kopf festhalten, sodaß sie sich weder wehren noch den Schlägen im geringsten entziehen können. Während die SA-Leute wie verrückt auf die bloßen Ärsche eindreschen, wird manchen Opfern mit Mützen der Mund zugehalten. Sie schreien einfach zu laut, und die zivile Nachbarschaft könnte glatt beim Weihnachtsliedersingen gestört werden.4

Dieser Mayer ist ein verdammt zäher Bursche, er überlebt auch heute. Den ganzen folgenden Tag läßt man ihn liegen, er rührt sich kaum. Am Abend des Christtags reißt Aufseher Alois den entstellten Körper mit Gewalt aus dem oberen Stockbett, er hat sich beim Schlußrundgang vom Stubenältesten nämlich berichten lassen müssen, die Kleider des Mayer seien nicht vorschriftsmäßig zusammengelegt. Benommen und teilnahmslos fällt Josef in sich zusammen. Rosenbichler zieht ihn an den Haaren in die Mitte des Zimmers. Aufstehen, wird er angeherrscht. Josef gibt sich alle Mühe, kriecht auf allen Vieren, hält sich am Pritschengestell fest, zieht sich hoch, steht endlich auf wackeligen Beinen. Zwei, drei gewaltige Schläge mit dem Gummiknüppel, Josef liegt wieder. Aufstehen, wird er angeherrscht. Mindestens zehnmal wiederholt sich das Spielchen, der Alois hat alle Zeit der Welt. Dann bleibt der Gefolterte endlich in Blut und Kot liegen, wimmert nur noch. Oberscharführer Rosenbichler fühlt sich heute in ausgezeichneter Form und hält die Zeit für gekommen, dem Häufchen Mensch mit den genagelten Schuhen unzählige Tritte in die Genitalien zu versetzen. Unartikulierte Schmerzenslaute sind die Folge.

Einen Tag später stirbt Josef Mayer – weshalb wurde Josef Mayer so brutal zu Tode gefoltert? Eine mögliche Erklärung wäre der Vorfall ein paar Tage zuvor.

Josef Mayer als Soldat der Wehrmacht zu Weihnachten 1940 Fronturlaub bekommen und seine Frau überraschen wollen, sei aber selbst überrascht worden, als er am Abend des 22. Dezember daheim eintraf und sie mit dem NS-Bürgermeister von Neukirchen in flagranti erwischte.
Begreiflich errregt, habe er den Nebenbuhler aus dem Haus geworfen. Am nächsten Morgen schon sei er abgeholt worden, der Rest der Geschichte ist bereits erzählt. Der Bürgermeister hatte also von seinem Recht Gebrauch gemacht, einen ‚Asozialen‘ im Lager zu ‚entsorgen‘, und die konsequente Vernichtung Mayers durch Folter über Weihnachten innerhalb weniger Tage lässt darauf schließen, dass der Einweisung zumindest die mündliche Anregung mitgegeben war: Rückkehr unerwünscht.5


Quellenverzeichnis

  1. Ludwig Laher – Das Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon
    Zufälliges Zentrum der NS-Aussonderungspolitik im Gau Oberdonau
    (aus: Florian Freund: Oberösterreich und die ‘Zigeuner’, Linz 2010)  ↩︎
  2. Vortrag in Neukirchen an der Enknach am 12. Juni 2015 ↩︎
  3. Die Namen habe ich aus den Aufzeichnungen vom Vortrag – siehe 2 – übernommen. ↩︎
  4. Siehe Fußnote 2 ↩︎
  5. Eine Schilderung des Neffen von Josef Mayer ↩︎