Ein Beitrag von Elisabeth Luif. Dieser Beitrag war gleichzeitig der Input bei unserem Geschichtetag im 70’er-Haus in Mattersburg. An seinem Beispiel folgen wir der Mattersburger Zwischenkriegszeit.
Jugend in Sopron/Ödenburg
Geboren 1902 – sein Vater Adolf ein führender Sozialdemokrat und Gewerkschafter in der Stadt. Das Gebiet gehört damals zum ungarischen Teil der Habsburger Monarchie, allerdings mehrheitlich deutschsprachige Gegend. Richard tritt der Vereinigung Sozialistischer Mittelschüler in Westungarn bei.
Bereits Dezember 1918 – noch als Schüler wird er in die Miliz einberufen – kommt nach Mattersburg wo der Sozialdemokrat Hans Suchard die autonome Republik Heinzenland ausgerufen hatte.(01)
Etablierung einer Räterepublik März-August 1919 in Ungarn
Die Räterepublik scheitert im August 1919, Miklós Horthy übernimmt die Macht, sogenannter „weißer Terror“ gegen Linke. Die Familie Berczeller flüchtet nach Österreich. Sein Vater Adolf wird Direktor der bgld Landeskrankenkasse und Vizepräsident der AK.
1920-1926 – absolviert er das Medizinstudium in Wien und ist politisch in der Sozialdemokratie aktiv. Dabei lernt er u.a. bei Julius Tandler (Stadtrat im Roten Wien) und erlebt antisemitische Übergriffe an der Uni.
Sein Wirken in Mattersburg
- 1929: Antritt einer Stelle als praktischer Arzt in Mattersburg / Bildungsreferent der SDAP im Burgenland + medizinischer Beauftragter des Resch Burgenland
- 1930 Heirat mit Marie Unger / 1931: Geburt seines Sohnes Peter
- Nach 1934 (Illegalisierung der Sozialdemokratie) – Adolf wird entlassen als Präsident der Landeskrankenkasse in Eisenstadt / Richard verliert Krankenkassenvertrag, wird für die illegalen RS aktiv und schmuggelt Zeitungen und Hilfsgelder
- 1938: versucht, am Abend des 11. März noch zu flüchten, wird von der Gestapo verhaftet / wird wieder freigelassen mit der Auflage, Ö innerhalb von 14 Tagen zu verlassen.
- Über die Familie seiner Frau in Wien schaffen sie es, ein Visum für Frankreich zu erlangen.
Langwierige Flucht
- Mai 1938: Flucht nach Paris, seine Frau und Sohn kommen nach, dort schlägt er sich mit Gelegenheitsarbeiten durch, weiterhin aktiv für Sozialdemokratie + gute Kontakte mit anderen exilierten Sozdem
- Im selben Jahr: Kurzfristige Stelle als Arzthelfer im französischen Kolonialdienst an der Elfenbeinküste / Rückkehr nach Paris
- Nach Ausbruch des 2.WK und später Angriff der deutschen Wehrmacht auf Frankreich: Flucht nach Montauban
- 1941: Erhalt eines Notvisums für die USA, erster Versuch dorthin zu gelangen scheitert – ihr Schiff wird in Casablanca aufgehalten, die Familie in Marokko interniert
- im August gelingt ihnen die Weiterfahrt in die USA
„Meine Frau ordnete unsere Habseligkeiten in einen Schrank, während ich auf dem Bettrand saß. ‚Wir müssen uns umstellen‘, sagte sie. ‚Wir sind Emigranten, und das ist eben nicht so, wie wenn man zu Hause ist. Man ist unter Fremden.‘ Ein plötzlicher Ruck, das Schiff setzte sich in Bewegung. Wir gingen an Deck. Unten am Pier standen Leute, anscheinend Angehörige und Freunde, die den Passagieren zum Abschied zuwinkten. Das Schiff bewegte sich langsam vom Pier weg. Auf einmal hörte ich Schluchzen: es war meine Frau. ‚Uns winkt niemand‘, sagte sie, sich die Tränen aus dem Gesicht wischend.“
(aus „…mit Österreich verbunden“ S.341) – 02
Ein neues Leben in New York
- zunächst: finanzielle Lage der Familie sehr prekär, Richard Berczeller und seine Frau schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch / er lernt Englisch und legt ein staatliches Examen ab um den Arztberuf ausüben zu können / ab 1944: eröffnet eine Privatpraxis, arbeitet als Schularzt und im Beth Israel Hospital
- Ab den 1950er Jahren veröffentlicht er Artikel in der Burgenländischen Freiheit, in der AZ, sowie in verschiedenen Emigrantenzeitungen
- Ab den 1960er Jahren widmet er sich der Schriftstellerei, Veröffentlichungen von Kurzgeschichten im New Yorker, in denen er sein bisheriges Leben über drei Kontinente hinweg verarbeitet und humorvoll aufbereitet.
- Schreibt auch politische Bücher über die politische Situation in Ö – u.a. 2 Bücher mit Ludwig Leser:
- 1975: „mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918-1945“ (bgld. Geschichte bis 1945, Institutionen wie kath. Kirche, Gewerkschaften + Parteien / wichtige politische Persönlichkeiten, burgenländische Besonderheiten als ethnisch und kulturell heterogenes Gebiet, Erlebnisse als Burgenländer in der Emigration
- 1975: „mit Österreich verbunden. Burgenlandschicksal 1918-1945“ (bgld. Geschichte bis 1945, Institutionen wie kath. Kirche, Gewerkschaften + Parteien / wichtige politische Persönlichkeiten, burgenländische Besonderheiten als ethnisch und kulturell heterogenes Gebiet, Erlebnisse als Burgenländer in der Emigration
- 1977: „Als Zaungäste der Politik. Österreichische Zeitgeschichte in Konfrontationen“ – Blick auf die Politik der Sozialdemokratie in der Zwischenkriegszeit aus einer kritisch-solidarischen Perspektive, RB schildert persönliche Erlebnisse mit wichtigen soz. Politikern ua. Otto Bauer, Karl Renner, Julius Deutsch
Vor seiner Praxis in New York
Rückkehr nach Österreich?
- RB wird als einer der wenigen zur Rückkehr nach Österreich eingeladen – Er lehnt ab / dennoch bleibt er Österreich immer eng verbunden und verfolgt die österr. Politik aufmerksam.
„Gerade gegenwaertig als sich faszinierende Ereignisse in meiner Welt von gestern abspielen lebe ich ferne von ihnen in einem Milieu von Sicherheit mit wenig Dynamik. Der alte Wanderer ist an seine neue Scholle gebunden, ferne von wenn auch tragischem Abenteuer das von grossen Hoffnungen erfüllt war. Das alte Dilemma taucht auf: Haette ich nach dem Krieg zurueckgehen sollen? Von Freunden wurde ich wiederholt dazu eingeladen. Nicht nur aus dem Burgenland sondern auch aus Wien. […] Man brauchte auch Intellektuelle da es kaum einen gab der nicht in irgendeiner Weise mit dem Naziregime verbandelt war.
Richard Berczeller an Fred Sinowatz, 4.1.1990
Ich haette Chefarzt der Wiener Gebietskrankenkasse werden sollen und als ich hinueber kam, sagte Wessely und auch Boegl (darin waren sie einig) dass ich an sicherer Stelle fuer den Nationalrat kandidieren wuerde. Andererseits: Nach schweren Jahren im Kampf um ein Stueck Brot ich wieder nachdem ich das Medizinstudium durchgemacht hatte meinen Beruf ausueben konnte. Die Staatsbuergerschaft. Es zeigten sich auch Ansaetze fuer eine andere Karriere, Schriftstellerei, die mir Anerkennung und auch viel Freude bereitete. Und Maria wollte nicht. Sie hat die schreckliche Zeit der Naziherrschaft nie ueberwinden koennen, da sie mit dem 6-jaehrigen Peter buchstaeblich aus der Wohnung herausgeworfen wurde, waehrend ich im Gefaengnis war. Trotzdem es war schwer fuer mich nicht nach Oesterreich zurückzukehren.“
1994 – RB stirbt in NY
Quellenverzeichnis
- 01 – Richard Berczeller – Sozialist, Arzt, Schriftsteller, Hg.: Anna Benedek, Elisabeth Luif, Georg Luif, Mattersburg im Juni 2016, Seite 2
- 02 – Mit Österreich verbunden, Burgenlandschicksal 1948 – 1945, Verlag Jugend und Volk 1975, ISBN: 978-3-714-165296