Stolpersteine in Tübingen

Auf unserer Maitour ergattern wir gerade noch einen freien Platz am Campingplatz. Der Feiertag am Donnerstag und das etwas wärmere Wetter ohne Regen locken viele Camper*innen heraus. Es gibt hier einen Stadtrundgang zur Geschichte des Jüdischen Leben in Tübingen. Brigitte und ich werden im Rahmen eines Advenrure Lab davon einige Stationen besuchen.

Das Rathaus in Tübingen

Demokratie und Wohltätigkeit

In der Uhlandstraße 15 lebte seit 1905 Dr. Simon Hayum mit seiner Familie. Dort führte er auch, zusammen mit seinem Vetter Dr. Julius Katz, die größte Anwaltspraxis der Stadt. 1929 kam sein Sohn Dr. Heinz Hayum hinzu.

Simon Hayum engagierte sich vielfach im öffentlichen Leben der Stadt sowie in der Selbstverwaltung der Jüdischen Gemeinde. Zwischen 1924 und 1935 saß er im Präsidium der Israelischen Landesversammlung und von 1919 bis 1933 für die Deutsche Demokratische Partei (DDP) im Tübinger Stadtrat sowie im Vorstand des Ortsschulrats. Seine Großzügigkeit gegenüber Bedürftigen war stadtbekannt, dennoch trafen ihn schon vor 1933 judenfeindliche Pöbeleien. Unmittelbar nach der kommunalen Machtübernahme der Nazis gab Hayum seine städtischen Ehrenämter zurück. 

In der damals modernen, fast großstädtischen Straße ließen sich anfangs des 20. Jahrhunderts in unmittelbarer Bahnhofsnähe mehrere jüdische Familien nieder. Haus Nummer 16 gehörte dem Optiker und Graveur Adolf Dessauer.

1903 konnte sich der langjährige Vorstand der Synagogengemeinde (1900-1914) das stattliche Haus am Uhlanddenkmal kaufen, das er zusammen mit seiner sechsköpfigen Familie und der seines Bruders bewohnte. Nach dem Novemberpogrom musste er es im Januar 1939 verkaufen; 1940 ist er in Tübingen gestorben.

Familie Weill und die Tübinger Chronik

Die Uhlandstraße 2 bewohnte seit 1905 der jüdische Verleger Albert Weill mit Frau und sechs Kindern. In der Parterre und im ersten Stock arbeiteten Druckerei und Redaktion der “Tübinger Chronik”. Der innovative Geschäftsmann verteidigte die Weimarer Republik, vermied aber aus Rücksicht auf das antisemitische Milieu der Universitätsstadt jede Berichterstattung über die Jüdische Gemeinde.

Gewalt, Ausgrenzung, Verniedlichung – rechtspopulistische Strategien der Natuonalsozialisten vor 1933

Diese Strategien rechtspopulistischer Parteien erleben wir gerade wieder höufig in Europa. Auch in Österreich sind sie uns nicht unbekannt. Damals wie heute ist es wichtig gegen diese Hetze aufzutreten. Das Beseitigen von Demokratien führte immer zu Unfreiheit, Willkür und Krieg und menschliches Leid.

Arisierung von Geschäften

Ausschaltung der Demokratie – die Strategie aller Rechtspopulisten der 30er-Jahre. Ob Hitler, Mussolini, Franko, Dolfuß und alle führten zuerst Krieg gegen die eigene Bevölkerung und HEUTE?

Von Anfang an praktizierten Nationalsozialisten und ihre deutschnationalen Mitläufer auf dem Rathaus Rassenpolitik. Bereits am 15. Mai 1933 schloss Tübingen “Juden und Fremdrassige” vom Besuch des Freibads aus. Ebenfalls schon 1933 löste die Stadt ihre Verbindungen mit jüdischen Geschäftspartnern, ohne dass es dafür eine Anweisung gab. Die Bevölkerung reagierte mit Schweigen auf die Ausschaltung und Verhaftung der demokratischen NS-Gegner ebenso wie auf die ersten judenfeindlichen Maßnahmen, etliche begrüßten sie.

Leopold Hirsch (1857 – 1939) kämpft um sein Bürgerrecht

Am 23. Juli 1850 ersuchte Leopold Hirsch aus Wankheim um Aufnahme in das Tübinger Bürgerrecht: Er wollte sich als “Verkäufler” mit einem Ladenlokal in der Stadt niederlassen. Doch erschien dies dem Tübinger Gemeinderat in Abstimmung mit dem Bürgerausschuss als “nicht wünschenswert”. Als auch ein erneuter Antrag Hirschs vom 31. Juli abgelehnt wurde, legte dieser beim Königlichen Oberamt Widerspruch ein. Vergebens: Auch hier wurde er abgewiesen.

Unerschrocken wandte er sich am 13. September ein drittes Mal mit neuen Zeugnissen und Argumenten an die Stadt und bat um Aufnahme. Wieder blieb er erfolglos. Darauf legte Hirsch ein zweites Mal beim Oberamt Widerspruch ein, das nun am 26. September “die Stadtgemeinde Tübingen für schuldig und verbunden erklärt, den Rekurrenten … in das Bürgerrecht aufzunehmen”. Doch nun ging der Tübinger Gemeinderat in Revision. Am 6. November jedoch bestätigte die dem Oberamt übergeordnete Instanz dessen Entscheidung. Leopold Hirsch musste ins Bürgerrecht aufgenommen werden.

1855 erwarb Hirsch das Gebäude Kronenstraße 6 und errichtete darin die Firma “Leopold Hirsch, Herrenkonfektion”, die bis zur “Arisierung” 1938 im Eigentum der Familie blieb.

Herzlichen Dank für diesen Adventure Lab und es gibt von ihr auch einen zweiten Adventure Lab mit Stationen zu den Stolpersteinen.

Am Holzmarkt 2 – wohnten Julius und Wilma Katz.
Dr. jur. Julius Katz war als Rechtsanwalt beim Tübinger Landgericht tätig. Bereits im Jahr 1933 fassten Wilma und Julius Katz den Plan in die Schweiz zu emigrieren. Sie zogen im Frühjahr 1935 nach Zürich. Dort studierte Julius Katz das Schweizer Recht und wurde nach nochmaligem Examen 1938 als Rechtsanwalt zugelassen. Sie trauten jedoch der plitischen Lage in Europa nicht und beschlossen nach Kalifornien zu emigrieren. Dort starb Julius Katz bereits 1948 an einer unheilbaren Krankheit. 

Familie Wochenmark in der Wöhrstrasse 3

Dr. Josef Wochenmark war Vorsänger und Lehrer, seine Frau Bella betrieb eine kleine Pension. Sie hatten zwei Söhne Alfred und Arnold. Alfred Wochenmark flüchte schon 1933 in die Schweiz und von da aus dann später in die USA. Arnold Wochenmark flüchtete ebenfalls in die Schweiz. Josef Wochenmark und seine Frau vesuchten sich vor der Deportation das Leben zu nehmen. Josef Wochenmark starb, seine Frau Bella überlebte schwerverletzt und wurde nach Theresienstadt deportiert und von dort aus nach Auschwitz, wo sie ermordert wurde. 


Familie Pagel in der Kelternstr. 8

Hier wohnten Dr. Albert und Charlotte Pagel.

Die Beiden Geschwister waren 1927 nach Tübingen in die Kelternstraße 8 gezogen. Dr. Albert Pagel litt unter einer chronischen Krankheit und wurde von seiner Schwester versorgt. Im August 1942 wurden die Beiden Geschwister nach zunächst nach  Theresienstadt deportiert und von dort aus nach Auschwitz wo sie ermordet wurden. 

Familie Marx in der Herrenbergerstrasse 46

Nach dem frühen Tod des Vaters zog Blanda Marx ihre Söhne alleine groß. Egon betrieb später als Textilkaufmann, zusammen mit seinem Bruder Victor, im elterlichen Haus ein  Geschäft für Aussteuerware, speziell für Federbetten.
Egon Marx flüchtete 1933 nach Frankreich. Und überlebte. Seine Mutter Blanda flüchtete ebenfalls nach Frankreich wo sie 1942 verhaftet und später dann nach Auschwitz deportiert und ermordet wurde.

Familie Reinauer in der Mauerstrasse 95

Hier wohnten Philippine und Sofie Reinauer.  Am 26. März 1941 wurden die Beiden Schwestern in die Pflegeanstalt Heggbach/Laupheim eingeliefert. In dieser Anstalt wurden Juden oft für wenige Monate untergebracht, um anschließend deportiert zu werden. Sofie verstarb am 11. Januar 1942, in der Pflegeanstalt, durch einen sogenannten “natürlichen” Tod. Philippine Reinauer wurde am 11. Juli 1942 in Heggbach abgemeldet und in ein Sammellager gebracht. Von dort aus ging der Todestransport nach Auschwitz wo sich ihre Spur verliert. Vermutlich wurde sie dort ermordet. 

Polizei und Verfolgung im Nationalsozialismus