Das Nazi-Massaker in Kokkinia

Am 17. August 1944 wurden in Kokkinia (auch bekannt als Nikaia) in der alten Fabrik der britischen Firma Oriental Carpet 75 Mitglieder des griechischen Widerstands von Nazi-Truppen hingerichtet. Hunderte weitere Männer und Frauen aus der Gegend erlitten ein ähnliches Schicksal.

Wir sind bei einer Studienreise von present history und transform europe über die griechische Linke zum Thema Illegalität und Antikommunismus. Während eines Stadtspaziergangs über die Erfahrungen der Flüchtlingsbewegungen von 1922 und im letzten Jahrzehnt treffen wir auf diese Gedenkstätte. Heute ist ein kühler und regnerischer März-Tag in Athen und nun fröstelt mich noch mehr. Als erstes sehe ich Bilder, wo Menschen entlang einer Mauer stehen – mein Frösteln nimmt zu – und immer wieder Zeichnungen, die das brutale Vorgehen der deutschen Nazis zeigen. Da fällt mir das Pferd von Waldheim ein. Waldheim, UNO-Generalsekretär und Bundespräsident von Österreich, der bei den Besatzungssoldaten in Griechenland als Offizier stationiert war, und von dem nichts gewusst und bemerkt hat.

Gewalt gegen Zivilbevölkerung

83% der gesamten griechisch-jüdischen Bevölkerung wurden durch die Nazis ermordet. Allein im Zeitraum Juni 1943 – September 1944 gab es 25.435 tote Griechen:innen und 25.728 Gefangene. Von den letzten sind viele in die Arbeitslager des Reichs geschickt worden. 1 Im Südosten Europas kämpften viele kommunistische Widerstandskämpfer:innen gegen den Nazi-Terror. Der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel gab diesbezüglich den vernichtenden Befehl aus:

„Die Truppe ist daher berechtigt und verpflichtet, in diesem Kampfe ohne Einschränkung auch gegen Frauen und Kinder jedes Mittel anzuwenden, wenn es nur zum Erfolg führt. [Humanistische] Vorbehalte jeder Art stellen ein Verbrechen gegen die deutsche Nation dar…”

Wilhelm Keitel, Hitlers rechte Hand in militärischen Angelegenheiten

„Blocco von Kokkinia“

Seit dem Amtsantritt von Dr. Walter Blume als Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD (BdS) in Athen im November 1943 waren Razzien (Bloccos) ein oft angewandtes Mittel, um – neben der Suche nach echten oder vermeintlichen „Kommunisten“ – den Arbeitskräftemangel der heimischen Rüstungsindustrie zu befriedigen. Diese Razzien liefen meist ähnlich ab: Im Morgengrauen umstellten deutsche Einsatztruppen zusammen mit Mitgliedern der Sicherheitsbataillone (zusammen meist mehrere tausend Mann) den Ort, per Lautsprecher wurden alle männlichen Einwohner zwischen 14 und 60 Jahren aufgefordert, sich sofort auf einem zentralen Versammlungsort einzufinden, während Haus für Haus durchsucht wurde. Waren alle Männer zusammengetrieben, wurden ihre Papiere gegen Suchlisten geprüft, und Informanten sorgten dafür, dass Sympathisanten des EAM-Widerstands sofort verhaftet wurden. Die so ausgewählten Männer wurden meist in das KZ Chaidari transportiert und danach zur Zwangsarbeit in deutsche Lager deportiert.

Erinnerungsstein an diesen “Blocco

Dergestalt verlief in den Morgenstunden des 17. August 1944 auch der „Blocco von Kokkinia“: Ca. 100 Männer wurden gleich an Ort und Stelle erschossen, und zwischen 3.000 und 4.000 Männer wurden nach Chaidari gebracht, von denen später über 1.000 zur Zwangsarbeit deportiert wurden. 2


Am 25. August 1944 telegrafierte Kurt-Fritz von Graevenitz an den „Sonderbevollmächtigten des Auswärtigen Amts für Südosten“ Hermann Neubacher:

… Von in letzter Zeit in Kommunistenvierteln durchgeführten Razzien waren letzte im Stadtteil Nea Kokkinia besonders blutig verlaufen: Neben 3000 Festnahmen über 100 Kommunisten tot, davon zwei Drittel im Kampf und auf der Flucht erschossen, ein Drittel als Sühne für verwundeten Polizeihauptmann. … “

Am Ort des Massakers steht heute ein Museum/Denkmal, das die Besucher_innen dazu anhält, diese grauenhafte Episode der griechischen Geschichte zu vergegenwärtigen und sich mit den Geistern der Vergangenheit auseinanderzusetzen.
Die an den Morden beteiligten Anführer und Mitglieder der deutschen Wehrmacht und SS-Truppen konnten vom griechischen Staat nie verurteilt werden.


Quellenverzeichnis