Industrialisierung am Wienerberg

Ein Artikel von Brigitte Drizhal für unseren Rundgang “Arbeiten und Leben am Wienerberg”

Beginn in der Habsburgerzeit

Die Habsburger unter Kaiser Franz I waren dem technischen Fortschritt nicht sehr gewogen. Dessen Politik der ängstlichen Abschottung vor den Neuerungen endeten ca. 1835. 1

So entstanden in Favoriten vor allem ab diesem Zeitpunkt Fabriken, wie z.B. die WAF Automobilfabrik in der Hardtmuthgasse 95, die chemische Fabrik  Gustav Wagemann (1850-1904) in der Laaerberg Straße, die Ankerbrot-Fabrik (1893-ca. 2009) – Absberggasse-Puchsbaumgasse,  die Firma Casali (1935-1970 in der Laxenburger Str. 137-139) oder die Fa. Heller am Belgradplatz 3-5 (1899-1971). Erst viel später, 1955 entstanden am Wienerberg selbst die Coca-Cola Werke (bis 2013) oder das Philips-Haus an der Triester Straße (Bauzeit 1962-1964).2

Industrialisierung an den Beispielen der Firmen Wertheim-Werke AG – Schindler GmbH

An der Wienerberg Straße 21-25 entstand 1938 neben einer Tonwarenfabrik der neue Standort der Firma Wertheim-Werke AG.

Franz Wertheim (* 13. April 1814 in Krems an der Donau) erwarb nach einer rein praktischen kaufmännischen Ausbildung sein technisches Wissen einerseits durch Selbststudium, andererseits durch lange Reisen nach Deutschland, Frankreich und England.3
Nachdem er mit ausländischen Werkzeugen Handel betrieben hatte, entschloss er sich 1841 selbst eine Werkzeugschmiede zu gründen, deren Produkte hohes Ansehen erreichten. 1845 wurde er von Kaiser Ferdinand I.  zum Hofwerkzeug-Fabrikanten ernannt.

Ein im Revolutionsjahr 1848 erfolgter Einbruch in Wertheims Eisentruhe, bei dem ihm 600 Gulden gestohlen wurden, brachte die Wendung in seiner Produktion. Wertheim fasste den Gedanken, einbruchsichere Kassen zu erzeugen, die im von Böhmen bis Siebenbürgen und von der Lombardei bis Bukowina ausgedehnten Riesenreich noch nirgendwo hergestellt wurden.

Kassen, Tresore und Aufzüge

Am 1. September 1852 gründete er das Unternehmen zur Erzeugung „feuerfester, gegen Einbruch sicherer Cassen“  die “Erste österreichische Kassenfabrik“.

Pompöse Feuerproben in Wien und Konstantinopel folgten in den Jahren 1843-1858. In dieser Zeit fand auch in einem Ziegelofen am Wienerberg eine solche statt, in dem die Kassa sogar einer Höchsttemperatur von 1.230° Celsius ausgesetzt wurde.
Schon 11 Jahre später fand die Fertigstellung der 20.000sten Kassa

im Rahmen eines der größten Arbeiterfestes statt. Josef Strauss komponierte eigens dafür die Polka „Feuerfest“.


Am 3. April 1883, kurz vor Vollendung seines 69. Lebensjahres, starb Franz Wertheim in seinem Palais am Schwarzenbergplatz an einem Schlaganfall. Wertheim trug bei seinem Ableben den Titel eines Kaiserlichen Rates.

Der achtzehnjährige Handelsakademiker Franz Gunst, ein natürlicher Sohn Wertheims, der von diesem zum Universalerben und Nachfolger bestimmt war und der später den Namen seines Vaters annahm trat in die Fabrik ein.


1884 – nur ein Jahr nach dem Tod Franz Wertheims sen. – nahm die Firma den Aufzugsbau in ihr Produktionsprogramm auf.
1911 wurde die Firma in einer Aktiengesellschaft umgewandelt. 1925 stirb Franz Wertheim jun.

ANNO – ÖNB – Zeitschrift “Der Tresor”, 1911, 40.Jahrgang, 48. Band, Seite 258

Rolltreppenbau beginnt

Nachdem 1934 die Creditanstalt-Bankverein die Aktienmehrheit übernommen hatte, verlangten die geschäftlichen Erfolge nach einer Ausweitung der Produktion. So übersiedelte das Werk 1938 in die Wienerberg Straße 21-25. Sechs langgestreckte Hallen wurden vom weithin sichtbaren Aufzugsprüfturm überragt. Davor war das Kassengeschäft in der Mommsengasse.

Nach dem Zweiten Weltkrieg (im Zweiten Weltkrieges musste Wertheim seinen Beitrag zur deutschen Rüstung leisten) wurde die Erzeugung aller Produktarten (Kassen, Tresore, Bürostahlmöbel, Aufzüge und Förderanlagen) in der neuen Fabrik am Wienerberg zusammengefasst.

Die ersten Versuche der Entwicklung einer eigenen Fahrtreppe fielen ebenfalls in diese Zeit, und so konnte 1951 die erste Wertheim-Fahrtreppe vorgestellt werden. Zu Beginn der 50er Jahre wurden pro Jahr nur zwischen fünf und zehn Fahrtreppen gefertigt, der Schwerpunkt lag weiterhin im Kassen- und Aufzugsbau. Dies änderte sich in den 70er Jahren, da wurden schon bis zu 1000 neue Fahrtreppen im Jahr hergestellt. Ein Zubau an der Wienerbergstraße war daher notwendig. Von der Wienerberger Ziegelei und vom ehemaligen Gaswerk in Favoriten erwarb man die Grundstücke.

Union der Aufzugshersteller – eine österreichische Lösung wird angestrebt

Ende der 60er Jahre strebten aufgrund der wirtschaftlichen Lage und der Lage weltweit bei den Aufzugsherstellern die Betriebsräte der österreichischen Firmen Sowitsch, Wertheim und Freissler eine Union der Aufzugshersteller an. In anderen Ländern gab es schon diese Fusionen.  Die Diskussion bei den

Betriebsräten war positiv, bei den Unternehmern jedoch negativ. Keiner der Firmen wollte sich mit den anderen inländischen Aufzugsherstellern zusammenschließen. Schließlich fusionierte Freissler mit Otis, Sowitsch mit Kone und Wertheim mit dem Schweizer Konzern Schindler.
Schindler besaß ab nun 41 %, die CA 41 % der Wertheim-Aktien. Weitere Aktien waren im Streubesitz.
Für die Beschäftigten von Wertheim gab es zuerst wenig bis keine Änderungen.5

1953 – Wertheim Aktiengesellschaft: Werkshallen. Lehrwerkstätte mit Schleifstöcken und Stanzmaschinen. Quelle: Bildarchiv der ÖNB

Spätere Änderungen der Produktion unter dem Einfluss von Schindler

Sparte Aufzugbau
Der Schweizer Schindler-Konzern produzierte – zum Zeitpunkt des Einstiegs bei Wertheim – in der Schweiz insbesondere Aufzüge und Eisenbahnwagons, jedenfalls aber keine Kassen (und Bankeinrichtungen) und auch keine Fahrtreppen.

Die Aufzugsproduktion bei Wertheim, wo bisher viele Komponenten wie z.B. Elektromotoren, Schaltschränke, Winden, Kabinen und Kabinentüren oder el. Aufzugssteuerungen vor Ort hier am Wienerberg produziert wurden, wurde langsam den Konzernregeln angepasst, d.h. diese Komponenten wurden in zunehmendem Ausmaß nicht mehr am Wienerberg gefertigt, sondern von Schindler-„Komponentenwerken“ bezogen. Diese Komponenten wurden direkt an die Baustellen geliefert und dort montiert. Der Abschluss dieser Entwicklung führte ca. 1984 zur Schließung der Aufzugsproduktion.

Wertheim – Schindler: Der Kassenbau wird ausgegliedert

Zu dieser Zeit kam es immer mehr zu einer Verschiebung der Produktionstätigkeit in Richtung des Fahrtreppenbaus, während die Aktivitäten am Sektor der Bürostahlmöbel sowie des Kassenbaus immer stärker in den Hintergrund gerieten. Der Bereich Kassenbau musste große Auftragseinbußen hinnehmen und das bedeutete, dass dieser Produktionszweig ausgegliedert werden sollte. Überlegungen, die Produktion einfach einzustellen, wurden sehr bald wieder verworfen, da der Kassenbau das traditionelle Kerngeschäft der Firma Wertheim darstellte.

Als 1986 der Schindler-Konzern, als Besitzer der Aktienmehrheit der Wertheim-Werke AG, den Kassenbau ausgliederte und einer Übernahme dieser Sparte mit einer Management-buy-out-Lösung zustimmte, erfolgt die Gründung der Wertheim Sicherheitssysteme GmbH.

Der Kassen- und Bürostahlmöbelbau entwickelte sich zu einer Sparte für komplette Bankeinrichtungen.
Die Produktion der Sparte Kassenbau wurde in die freigewordenen Werkshallen der Sparte Aufzugbau verlegt.
1999 wurde ein Werk (Tischlereibetrieb) in Uttendorf (Salzburg) zur Produktion von Büro-

und Bankeinrichtungen gekauft und die „AL Büro- und Bankeinrichtungen GmbH“ gegründet. Für die Produktion von schweren Kassen wurde ein Betrieb in Modra (Slowakei) gekauft.

Heute Fertigung in Ostmitteleuropa

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nutzte Wertheim die Gelegenheit in der Slowakei Werke zur Fertigung zu errichten und die Länder Ostmitteleuropas, wie bereits zur Zeit der Donaumonarchie, als Absatzmarkt zu erschließen.
Seit 2001 betreibt Wertheim in Dunajská Streda Auftragsfertigung von Aufzugskabinen für Schindler.
Die Zentrale der Wertheim Vertriebs GmbH befindet sich heute in Guntramsdorf, NÖ.

Sparte Fahrtreppenbau

Die Sparte Fahrtreppe entwickelte sich seit den 1960-er Jahren zu einem Erfolgsfaktor.

Da der Schindler-Konzern keine eigene Fahrtreppenproduktion betrieb wurde Wertheim am Standort Wienerberg zum Alleinproduzenten für den Konzern.
Da Schindler ein internationaler Konzern ist, konnten über die Verkaufskanäle von Schindler unsere Fahrtreppen auf den internationalen Markt gebracht werden, was dem Geschäft nützte.
So wurden in den 1990-er Jahren an diesem Standort weit über tausend Fahrtreppen produziert. Nachdem Schindler aber markttechnischen (und auch aus Kosten-) Gründen auch Produktionen in anderen Ländern aufzog (z.B. Amerika oder China) konnte bald billiger produziert werden als in Wien, und die Produktion von Rolltreppen am Wienerberg wurde 2004 geschlossen.

Schindler Österreich heute
Hier auf dem Wienerberg gibt es keinerlei Produktion mehr.
Trotzdem befindet sich hier seit 2021 ein imposantes neues Verwaltungsgebäude!

Die Sparte „Inland“ beschäftigt derzeit ca 280 Angestellte in Konstruktion, Verkauf und dazugehörige Back-Office -Abteilungen für Aufzügen und Fahrtreppen für den österreichischen Markt. Dazu gehören ca. 250 Monteure für Aufzüge und Fahrtreppen in Österreich.

Die Sparte Fahrtreppen beschäftigt derzeit am Wienerberg ca. 90 Angestellte davon 45 in der Konstruktion für Fahrtreppen in Österreich und für Sonderkonstruktionen für den Weltmarkt. Produziert werden Schindler-Fahrtreppen derzeit

  • in Dunaska Streda (Slowakei) für den gesamteuropäischen Markt,
  • in Shanghai (China) für den chinesischen Markt,
  • in Clinton (USA) für den nordamerikanischen Markt,
  • in Brasilien für den südamerikanischen Markt und
  • in Indien.

Der ehemalige Betriebsratsvorsitzende der Angestellten erzählt über einen „wilden Streik“ bei der Fa. Wertheim-Werke AG in den 70er Jahren

In den 70er Jahren waren über 1000 Arbeiter und etwa 430 Angestellte beschäftigt.  Der Betriebsrat für die Angestellten und Arbeiter hatte über die Jahre Sozialleistungen ausverhandelt, die bis Mitte der 80er Jahre ausgebaut und zum größten Teil bis heute erhalten werden konnten.

Ende 1975 erklärte die Unternehmensleitung dem Betriebsrat, dass die Firma in wirtschaftlichen Schwierigkeiten war. Die Belegschaft verzichtete daraufhin erstmals auf eine Forderung nach innerbetrieblichen Lohnerhöhungen und akzeptierte, dass der Personalstand um ca 150 Mitarbeiter gesenkt wurde (Freiwillige Austritte!)

Als die Betriebsräte Mitte 1976 die Bilanz für 1975 bekam, wurde bekannt, dass an die Aktionäre 10 % Dividende ausbezahlt worden war. Zu diesem Zeitpunkt waren auch die Auftragsbücher wieder voll und zahlreiche Überstunden geleistet. Im September kam es zu Verhandlungen mit der Direktion. Es gab zwar eine Bereitschaft der Firmenleitung für eine einmalige Prämie, jedoch keine für innerbetriebliche Lohnverhandlungen. In einer Betriebsversammlung wurde daraufhin ein einstündiger Proteststreik abgehalten. Auf diesen reagierte die Direktion nicht.

Dieser Streik sowie die weiteren Proteste wurden auch nicht von der Gewerkschaft gebilligt (daher auch „wilder Streik“). D.h. es kam zu keiner Unterstützung der zuständigen Gewerkschaften. So gründete der Betriebsrat einen eigenen Streikfonds, in den jeder Arbeiter und Angestellte einen gewissen Betrag – je nach Verdienst – einzahlte.

Nachdem die Firmenleitung auf den ersten Tag nicht reagierte, kam es zu Punktstreiks. Einzelne Arbeiter und Angestellte streikten stundenweise, strategisch wichtige Abteilungen wie z.b. die Warenannahme waren darunter. So kam es, dass sich Lastkraftwagen auf der Wienerbergstraße stauten, die ihre Waren bei der Firma abliefern sollten.

Am dritten Tag des Streiks wurden 37 Streikende fristlos entlassen. Der Betriebsrat sammelte die Schreiben der Entlassenen ein und ging mit ihnenbegleitet von über hundert Kolleginnen und Kollegen aus der Arbeiter-Und Angestelltenschaft – in die Direktion

Dennoch wurden die Entlassungen nicht zurückgenommen. Dafür traten nun andere Arbeitnehmer in den Streik um eine Wiedereinstellung der Entlassenen zu erreichen. Nach einer Woche Dauer wurden die Entlassungen zurückgenommen. Doch vorbei war es mit Streiks dennoch nicht, es wurde weiter für Lohnerhöhungen gestreikt, und zwar von den entlassenen (und nun wieder eingestellten Arbeitern und Angestellten)!

Die Firmenleitung versuchte immer wieder, die Belegschaft zu spalten, was ihr jedoch nicht gelang. Die Arbeiter und Angestellten hielten zusammen.


Quellenverzeichnis

1 Favoritner Museumsblätter Nr. 30; Walter Sturm, „… außer der Linie“ Favoriten am Wienerberg
2 Aus dem Bezirksmuseum Favoriten
3 Wikipedia https://de.wikipedia.org/wiki/Wertheim_(Unternehmen)
4 Aus der Festbroschüre „150 Jahre Wertheim“
5 Auszug aus einem Gespräch mit dem ehemaligen Angestelltenbetriebsratsvorsitzenden Bruno Leitsmüller