Gruppe 14 C, Nummer 1B
Geb. 18. September 1909 in Wien; † 14. Februar 1994 in Wien
Hertha Firnberg wurde am 18. September 1909 als älteste Tochter von Anna, geb. Schamanek, und Dr. med. Josef Firnberg im bürgerlichen 18. Wiener Gemeindebezirk, Währing, geboren. Später übersiedelte die Familie nach Niederrußbach in Niederösterreich, wo der Vater als Gemeindearzt tätig war. Die Mutter hatte nach Herthas Geburt ihre Berufstätigkeit als Beamtin aufgegeben und gebar danach noch zwei Brüder Herthas und eine Schwester, Trude.
Nach der Volksschule besuchte sie die Mittelschule im 17. Wiener Bezirk, Hernals, in der Kalvarienberggasse (wo Alfred Adler 1888 maturiert hatte) und schloss sich dort 1926 dem Verband Sozialistischer Mittelschüler (VSM) an, in dem sie bald stellvertretende Vorsitzende wurde. Als Studentin an der Universität Wien war sie Mitglied des Verbandes Sozialistischer Studenten (VSSt) und trat 1928 der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, der führenden Partei des „Roten Wien“, bei. Gemeinsam mit ihrer Schwester bezog sie ein kleines Siedlungshaus im 10. Bezirk, Favoriten, einem typischen Arbeiterbezirk. Trude führte in dem Haus eine Leihbücherei.
Firnberg begann Jus zu studieren und brach dieses Studium aufgrund der Absichtserklärung eines ihrer Professoren, keine Frauen bei der Prüfung durchkommen zu lassen, ab. Sie wechselte in das wirtschaftliche Fach und promovierte 1936 mit einer wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Dissertation.
1930 studierte sie kurze Zeit an der Universität Freiburg im Breisgau.
Im Februar 1934 wurde die politische Richtung, der sie angehörte, von der Ständestaatsdiktatur verboten.
1936 promovierte sie bei Alfons Dopsch in Wien mit einer Dissertation mit dem Titel Lohnarbeiter und freie Lohnarbeit im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit.
Als notorische Sozialdemokratin konnte Firnberg weder im Ständestaat noch in der 1938 folgenden NS-Diktatur mit beruflicher Karriere als Sozialforscherin rechnen. Die ersten Jahre verdiente sie ihr Brot mit Nachhilfestunden und als freie Wirtschaftsjournalistin. Von 1941 bis 1945 arbeitete sie für Chic Parisienne, einen führenden Modeverlag; gleichzeitig erlernte sie Buchhaltung und Betriebsführung und erlangte schließlich die Prokura.
Nach dem Kriegsende erhielt Hertha Firnberg an der Universität Wien eine Stelle als Bibliothekarin und Assistentin. Nebenbei machte sie sich mit den Methoden der Statistik und Empirie und deren Anwendung auf das Wirtschafts- und Sozialgeschehen vertraut. Zusätzlich war sie halbtags in einem Büro für Werbung und Statistik tätig. Als sie 1948 in der niederösterreichischen Arbeiterkammer als Angestellte begann, befand sich diese erst im Wiederaufbau nach dem Krieg. Firnberg wurde dann leitende Sekretärin, Abteilungsleiterin für Statistik und Leiterin der Studienbibliothek.
Firnberg war 1959–1963 für Wien Mitglied des Bundesrats und 1963–1983 Abgeordnete zum Nationalrat. 1967 folgte sie Rosa Jochmann als Vorsitzende der sozialistischen Frauen nach und hatte diese Position bis 1981 inne. Ihre politische Heimat war die SPÖ-Bezirksorganisation im klassischen Wiener Arbeiterbezirk Favoriten.
Sie hatte im Nationalrat Funktionen im Finanz-, im Unterrichts- und im Justizausschuss sowie als zweite Obfrau des außenpolitischen Ausschusses, als Sprecherin der sozialistischen Fraktion in Bildungs-, Wissenschafts- und Forschungsangelegenheiten und für Fragen der Rechtsreform, speziell des Familienrechts.
1959–1970 war sie weiters Mitglied der österreichischen Delegation zur damals so genannten Beratenden Versammlung des Europarates, Vizepräsidentin von deren Kommission für Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen und Mitglied des Asylbeirates im Innenministerium.
Gemeinsam mit Lola Solar gründete sie 1969 den “Österreichischen Frauenring“, dem größten überparteilichen Zusammenschluss von Frauenvereinen und Frauenorganisationen Österreichs.
Als Bruno Kreisky 1970 sein erstes Kabinett bildete, wurde Firnberg zunächst zur Ministerin ohne Portefeuille bestellt, aber mit dem Auftrag, ein Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung zu gründen. Das Ministerium wurde per Gesetz am 24. Juli 1970 gegründet, Firnberg zur ersten Wissenschaftsministerin Österreichs berufen. Sie war nach Grete Rehor erst die zweite Ministerin in der Geschichte Österreichs. In ihre Amtszeit als Ministerin (1970–1983) – sie gehörte auch den Bundesregierungen Kreisky II, Kreisky III und Kreisky IV an – fiel die Universitätsreform 1975 (Universitätsorganisationsgesetz 1975).
Firnberg war auf Grund ihres intellektuellen Hintergrundes und ihres damenhaften, aber selbstbestimmten Auftretens fähig, ihre Vorstellungen auch gegenüber angesehenen Universitätsprofessoren durchzusetzen, obwohl damals Frauen in der Spitzenpolitik nur äußerst selten vertreten waren. Zu ihrem Erfolg trug wesentlich bei, dass sie vom fast gleich alten Bruno Kreisky, der wie sie Intellektualität schätzte, bei ihrer Universitätsreform volle Rückendeckung erhielt. 1979 wurde sie von der Stadt Wien zur ersten Ehrenbürgerin in der Geschichte der Stadt ernannt. Zu ihrem 100. Geburtstag wurde sie in der konservativen Wiener Tageszeitung Die Presse als Primadonna assoluta in Kreiskys Team bezeichnet.
Als Kreisky 1983 nach dem Verlust der zwölf Jahre innegehabten absoluten SPÖ-Mehrheit zurücktrat, zog sich auch Firnberg, inzwischen 74 Jahre alt, aus der Politik zurück. Sie wohnte in ihren späten Jahren, betreut von ihrer Schwester, im ehemaligen Savoyschen Damenstift in der Johannesgasse in der Wiener Altstadt.
Selbstständige Publikationen von Hertha Firnberg