Artikel zum Rundgang am Urnenhain – verfasst von Brigitte und Werner Drizhal
Julius Tandler wurde in Iglau 1869 im damaligen Kronland Mähren geboren, besuchte aber das Gymnasium Wasagasse in Wien-Alsergrund. Zwischen 1889 und 1895 absolvierte Tandler sein Medizinstudium in Wien, das er mit der Promotion abschloss1.
Tandler, der seit 1910 einen der beiden Lehrstühle für Anatomie an der Universität Wien innehatte, wurde 1919 Unterstaatssekretär im Volksgesundheitsamt unter Ferdinand Hanusch2.
Gesundheitssituation in Wien um 1920
Die Kinder- und Säuglingssterblichkeit3 war stark angestiegen, viele Kinder waren chronisch unterernährt, um die Welt gingen entsetzliche Bilder von schwerst rachitischen Kindern aus Wien. Infektionskrankheiten wie Tuberkulose oder Syphilis hatten dramatisch zugenommen.
Er wurde 1919 Leiter des Volksgesundheitsamtes. 1920 wechselte er zur Stadt Wien, wo er bis 1934 als Stadtrat für Wohlfahrts- und Gesundheitswesen (erste Krebsberatungsstelle) viele noch heute bestehende Einrichtungen wie Säuglingswäschepakete, Mütter- und Eheberatungsstellen schuf. Er regte die Errichtung von Krematorium und Praterstadion an, auch engagierte er sich besonders gegen die Tuberkulose.
Seine Pläne zur Novellierung der Gesundheits- und Fürsorgeverwaltung sollten die traditionelle Wohlfahrt ablösen. Ziel war es, mit der Errichtung und dem Ausbau von Fürsorgebehörden und -einrichtungen eine Hebung der sozialen Lebensverhältnisse v. a. von mittellosen und kinderreichen Arbeiterfamilien zu erwirken. Nach dem Prinzip „aufbauende Wohlfahrtspflege ist vorbeugende Fürsorge4” wurden sämtliche Einrichtungen geschaffen, die die neue zentralisierte und vernetzte Wohlfahrtsstruktur bestimmten: die städtische Kinderüber-nahmestelle,
Mutter-, Ehe-, Familien- und Berufsberatungsstellen, Jugendämter, Kinder- und Erziehungsheimen, Kindergarten, Krankenhäuser, Schulzahnkliniken, Heilanstalten für Tuberkulose- und Geschlechtskranke, Sport- und Freizeiteinrichtungen wie Freibäder, Erholungs- und Ferienheime5.
„Denn je mehr wir uns um die Jugend bekümmern, desto weniger werden wir uns um die Alten sorgen müssen; um so gesünder, lebenstüchtiger, widerstandsfähiger im Kampf ums Dasein wird diese Jugend sein. Was wir für Jugendhorte ausgeben, werden wir an Gefängnissen ersparen.6
Julius Tandler7 war verantwortlich für den Ausbau des Lainzer Krankenhauses (Sonderabteilungen für Stoffwechselerkrankungen und für Strahlentherapie), die Übernahme privater Kinderspitäler und den Umbau des Brigittaspitals zu einem städtischen Entbindungsheim. Er ließ Volksbäder (beispielsweise das Amalienbad), Sommerbäder und Kinderfreibäder sowie Sportplätze (darunter das Praterstadion) errichten und hatte maßgeblichen Anteil daran, dass die städtischen Gartenanlagen von 1921 bis 1932 von knapp 2 auf 3,3 Millionen Quadratmeter wuchsen.
Im April 1932 zogen die Nationalsozialisten in den Wiener Gemeinderat und attackierten Tandler8 permanent antisemitisch. Ebenso kam es zu Angriffen auf das I. Anatomische Institut der Universität Wien. Als die Austrofaschisten unter Dollfuß an die Macht kamen, zog sich der 64jährige Tandler aus der Politik zurück.
Julius Tandler, der nach dem Februar 1934 seine Professur verlor, zwangspensioniert wurde und daraufhin Wien verließ, starb 1936 im Exil in Moskau. 1939 flüchtete seine Frau Olga vor den Nationalsozialisten in die USA, wo bereits seit einigen Jahren ihr Sohn Wilhelm lebte.
Quellennachweis
- Wikipedia zu Julius Tandler ↩︎
- Wien Museum Magazin zum Nachlass von Julius Tandler ↩︎
- Das Rote Wien in Zahlen 1919-1934, Seite 30 ↩︎
- ÖNB – digitales Archiv, Der Kuckuck vom 27. März 1932, Seite 3 ↩︎
- Das Rote Wien – Schlüsseltexte der zweiten Wiener Moderne 1919 – 1934, Rob McFarland, Georg Spitaler, Ingo Zechner (Hrsg.), De Gruyter Oldenburg, 2020, ISBN 978-3-11-064003-8, Seite 369 ↩︎
- Zitat aus Charles Gulick, Österreich von Habsburg zu Hitler, Danubia Verlag Band II, 1948, Seite 204 ↩︎
- Foto: Trude Fleischmann: Porträt von Julius Tandler, ca. 1930, Wien Museum ↩︎
- Im Bild mit Ehefrau Olga – Wien Museum ↩︎