„Unser geliebtes Wien wird seine Lebenskraft beweisen und eine Stadt der Schaffensfreude und der Arbeit sein, die allen Bewohnern ein lebenswertes Dasein ermöglicht.1“
Als Sohn einer aus Mödling stammenden Handarbeiterin wuchs Jakob Reumann in ärmlichen Verhältnissen auf. Er besuchte die nahe gelegene “Taubenschule”. 1867 trat Reumann als Drechslerlehrling in eine Meerschaumpfeifenfabrik2 ein (1871 Geselle)3. Er war seit der Frühzeit der Sozialdemokratie ein enger Weggefährte von Victor Adler. Als einer der bedeutensten sozialdemokratischen Politiker begann Reumann seine Karriere 1900 alsMitglied des Wiener Gemeinderates, wurde 1917 Stadtrat und 1919 zum ersten sozialdemokratischen Bürgermeister von Wien.4
Er gründete die erste Gewerkschaft seines Berufsstandes, den Fachverband der Drechsler, dessen Obmann er wurde. Zudem arbeitete er als leitender Redakteur des “Fachblatts der Drechsler”. Auf Fachtagungen vertrat er in Referaten und Diskussionen die Ansicht, dass sich die gewerkschaftlichen Organisationen nicht auf die gelernten Arbeiter beschränken dürfen, sondern auch ungelernte Beschäftigte aufnehmen müssten.
Bild: Arbeiterzeitung, 29. April 18915
Als Gewerkschafter kämpfte er für eine freie, unabhängige Schule, welche nicht in die frühe Finsternis des Konkordats zurückfällt6.
Auf der Versammlung prangerte er auch den Antisemitismus der Meister an. Er meinte: Was könne man sich von der moralischen Heranbildung und Erziehung der Lehrlinge von Seiten der Meister versprechen, wenn ein Meister in der letzten Vollversammlung erklärte, er werden den Tag mit Freuden begrüßen, an dem der letzte Jud hin ist!?
Wegen seines gewerkschaftlichen Engagements verlor Reumann seine Anstellung und wurde auf die “Schwarze Liste” der Unternehmer gesetzt. Kurzzeitig in München tätig, holte Victor Adler Jakob Reumann für die hauptamtliche politische Arbeit nach Wien zurück.
1880 heiratete er Katharina Kustner; ihre gemeinsame Tochter war die Politikerin Anna Grünwald.
Nach dem Hainfelder Parteitag wurde Reumann erster Sekretär der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und führte auf dem ersten Wiener Parteitag 1890 den Vorsitz. Im Einklang mit einem später von Franz Schuhmeier entworfenen Kommunalprogramm stellte Reumann die Forderung nach dem Bau leistbarer, gesunder Wohnungen auf.
Im Oktober 1893 wurde Reumann zu 14 Tagen Arrest verurteilt.7
Aufgrund der Erweiterung des Wahlrechts (für das er sich ständig eingesetzt hatte) wurde Reumann neben Franz Schuhmeier am 31. Mai 1900 in der vierten Kurie in den Gemeinderat gewählt. Er kandidierte im 10. Bezirk. Zudem war er 1907, nach der Einführung des allgemeinen, gleichen Männerwahlrechts im Gesamtstaat, Abgeordneter des Reichsrats. In beiden Funktionen konzentrierte er sich auf den Arbeiterschutz, die Lebensmittelversorgung und die Verbesserung der Kranken- und Unfallversicherung.
Nach der Gemeinderatswahl vom 4. Mai 1919 wurde er am 22. Mai vom Gemeinderat zum Bürgermeister8 gewählt. In diesem Amt war er bis 1923 tätig und wirkte anschließend bis 1925 als Mitglied des Gemeinderates und Abgeordneter zum Wiener Landtag. Unter seiner Amtsführung wurde 1923 das erste große Wohnbauprogramm beschlossen, das den Bau von 25.000 Gemeindewohnungen innerhalb von fünf Jahren vorsah.
Zudem fungierte er als Vorsitzender des Gemeinderates der Stadt Wien von 1918 bis 1923 und war Obmann des Klubs der sozialdemokratischen Gemeinderäte. Auf nationaler Ebene gehörte Reumann der Provisorischen Nationalversammlung an.
Er war von 1920 bis 1925 Mitglied des Bundesrates, in dem er von 1920 bis 1921 sowie von 1924 bis 1925 die Funktion des Vorsitzenden innehatte.
Mehrfach geriet der Sozialdemokrat Reumann in Konflikt mit den bürgerlichen Bundesregierungen jener Zeit. So insbesondere bei der Uraufführung des skandalträchtigen „Reigen“ von Arthur Schnitzler im Deutschen Volkstheater in Wien am 1. Februar 1921. Der christlichsoziale Innenminister Egon Glanz „ersuchte“ Reumann, die bereits erteilte Aufführungsbewilligung nochmals zu überprüfen, und als Reumann an seinem Entschluss festhielt, wurde er von der Bundesregierung beim Verfassungsgerichtshof unter Anklage gestellt, jedoch freigesprochen, weil das „Ersuchen“ keine rechtlich verbindliche Weisung dargestellt hatte.
Das zweite Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gegen Reumann fand ein Jahr später statt, als Reumann entgegen einer Weisung des Ministers Richard Schmitz die Errichtung eines Krematoriums in Wien, der Feuerhalle Simmering, genehmigt hatte. Erneut erfolgte ein Freispruch: Zwar war die an Reumann ergangene Weisung diesmal korrekt gewesen, doch sei der Landeshauptmann einem „entschuldbaren Rechtsirrtum“ unterlegen, da er aufgrund der reichlich komplizierten Rechtslage davon ausgegangen war, dass es sich beim Bestattungswesen um eine autonome Landesangelegenheit handle, in der der Bundesminister keine Weisungen erteilen dürfe.
Reumann starb 1925 in Klagenfurt. Seine Urne wurde in einem ehrenhalber gewidmeten Grab auf dem Vorplatz der im Dezember 1922 von ihm eröffneten Feuerhalle Simmering beigesetzt. Wenige Wochen nach seinem Tod wurde der Bürgerplatz im Wiener Arbeiterbezirk Favoriten in Reumannplatz umbenannt. Auch der 1926 fertiggestellte Gemeindebau Reumannhof am Margaretengürtel (5. Bezirk) wurde nach ihm benannt9.
Seine Büste am Denkmal der Republik
Quellenverzeichnis
- Bürgermeister Jakob Reumann bei seiner Antrittsrede 1919 aus “Das rote Wien in Zahlen 1919 – 1934”, Hrsg.: Stadt Wien 2019, MA 23 (Wirtschaft, Arbeit und Statistik), F.d.I.v.: Klemens Himpele, 100jahresrotes.wien.gv.at, Seite 4 ↩︎
- Was ist eine Meerschaumpfeifenfabrik – Information von Peter Heinrichs: Die Geschichte der Meerschaumpfeifen reicht weit zurück. Ursprünglich stammt die Verwendung von Meerschaum für Pfeifenköpfe aus der Levante und wurde später in Deutschland populär. Im 18. Jahrhundert wurden Meerschaumpfeifen in Europa bekannt, obwohl sie wahrscheinlich bereits im 17. Jahrhundert in der Türkei, dem Land, in dem Meerschaum hauptsächlich vorkommt, in Gebrauch waren. Wien war einst das Zentrum der Meerschaumpfeifenproduktion, und die Wiener Meerschaumpfeifen waren eine viel bestaunte Sehenswürdigkeit. ↩︎
- Wien Geschichte Wiki ↩︎
- Das Rote Wien – Schlüsseltexte der zweiten Wiener Moderne 1919 – 1934, Rob McFarland, Georg Spitaler, Ingo Zechner (Hrsg.), De Gruyter Oldenburg, 2020, ISBN 978-3-11-064003-8, Seite 271 ↩︎
- ÖNB, digitales Archiv, Arbeiterzeitung am 29. April 1891, Seite 12 ↩︎
- Siehe Zeitungsartikel “Eine Arbeiterversammlung im Neues Wiener Abendblatt am 6. Mai 1889, Nummer 124, Seite 4 – digitales Archiv der ÖNB ↩︎
- ÖNB, digitales Archiv, Neues Wiener Tagblatt (Tagesausgabe) am 17. Oktober 1893 ↩︎
- Foto aus Wikipedia – Bürgermeistergalerie des Wiener Rathauses – Ludwig Wieden – Selbst fotografiert ↩︎
- Wikipedia zu Jakob Reumann ↩︎