Architektin – Widerstandskämpferin – Aktivistin
Schütte-Lihotzky sei „oft die Erste“ gewesen, so Horncastle – „die erste weibliche Architekturstudentin in Österreich und lange auch die erste Frau, die in diesem Beruf arbeitet und erfolgreich ist“.
Mona Horncastle in der Biografie von Schütte-Lihotzky
Ihr Grab findet man am Zentralfriedhof in der Gruppe 33 G, 28. Die Architektin und Widstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky, die als Kommunistin im Jahr 1941 verhaftet wurde schreibt in ihren Erinnerungen:
Für mich bedeutet die Verhaftung den wahrscheinlichen Tod (…) Erster Hafttag: ein Zittern schüttelt mich an Leib und Seele, das volle zwei Tage, bis zum nächsten Verhör andauerte, und dem ich trotz größter Anstrengung nicht Einhalt gebieten konnte. Das Abnehmen der Fingerabdrücke am nächsten Tag war schwierig. Ich konnte die Hände nicht ruhig halten, und der Mann sagte: “Was zittern´s denn so, es gschieht Ihna ja nix.” Ich wusste, im Landesgericht wurden zweimal wöchentlich politische Gefangene hingerichtet. (1)
Biografie (2)
1897
Am 23. Januar wird Grete Lihotzky in Wien als Tochter eines östereichischen Staatsbeamten geboren. Sie beschreibt ihn als einen sehr musikalischen Menschen, der lieber Musiker geworden wäre. Er war Kriegsgegner und begrüsste die Ausrufung der 1. Republik Österreichs.
1914
Grete wächst gemeinsam mit ihrer um vier Jahre älteren Schwester Adele auf. Die Familie wohnt im fünften Wiener Gemeindebezirk in einem schönen Alt-Wiener Haus mit einem grossen Garten.Die beiden Schwerstern besuchen die öffentliche Volksschule, danach vier Jahre die Bürgerschule. Adele wird Lehrerin.
Grete verbringt nach ihrem Schulabschluss ein Jahr zu Hause und nimmt Privatunterricht bei dem Maler Maierhofer. Anschliessend besucht sie zwei Jahre die K. K Graphische Lehr- und Versuchsanstalt und nimmt am Kopf-, Akt- und Ornamentalen Zeichnen teil.
1919
Sie war die erste Frau, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hat. (5)
Dabei hatte sie mit großen Vorurteilen zu kämpfen. Jeder hat es ihr ausreden versucht.
Nicht weil sie so reaktionär waren, sondern weil sie geglaubt haben, ich werde dabei verhungern, kein Mensch wird sich von einer Frau ein Haus bauen lassen. (9)
1922-1925
Ab März Tätigkeit im Baubüro des “Österreichischen Verbands für Siedlungs- und Kleingartenwesen” (Otto Neurath) bzw. dem Siedlungsamt der Stadt Wien (Adolf Loos). Weitere Beschäftigung mit dem Siedlungsbau und den Fragen der Rationalisierung der Hauswirtschaft. Sie arbeitete auch für die “Erste gemeinnützige Siedlungsgenossenschaft der Kriegsinvaliden Österreichs” (4)
1926
Es war Margarete Schütte-Lihotzky, die als Architektin diesen Gedanken der Arbeitsoptimierung mit der industriellen Massenfertigung auf den Wohnungsbau übertrug, indem sie den Küchenarbeitsplatz nach ergonomischen und praktischen Erwägungen gestaltete, ohne die Bezahlbarkeit für breite Schichten außer Acht zu lassen. (3)
Ich erinnere mich auch genau daran, als mir Otto Neurath, der Kulturpholosoph und Erfinder der modernen Zeichensprache, Anfang der 20er Jahre das Kommunistische Manifest zu lesen gab. Das war schon was Besonderes.
Zitat von Margarete Schütte-Lihotzky erschienen in der Volksstimme 1-2/2022
1927 – 1937 Zeit in der Sowjetunion
1927 heiratete sie ihren Frankfurter Architekturkollegen Wilhelm Schütte, mit dem sie in die Sowjetunion auswanderte, wo sie dutzende Wohnbauten und Kindereinrichtungen plante, ja sogar Stadtplanungskonzepte für Nowosibirsk, Magnitogorsk und Moskau entwickelte. 1937 verließen Margarete Schütte-Lihotzky und ihr Mann die Sowjetunion, lebten in London, Paris, Istanbul. (7)
1938-1940
Nach einer kurzen Reise im April 1938 nach London, wo die Situation ebenso aussichtslos ist, reist das Ehepaar Schütte auf Vorschlag Bruno Tauts im August nach Istanbul, um dort an der “Academie des Beaux Arts”, die dem Erziehungsministerium untersteht, zu arbeiten. Taut stirbt kurz nach ihrer Ankunft. Margarete Schütte-Lihotzky beschäftigt sich hauptsächlich mit Erziehungsbauten. Sie lernt den Architekten Herbert Eichholzer kennen, der eine österreichische antifaschitische Widerstandsgruppe in der Türkei aufbaut.
1940-1945
Im Dezember 1940 fährt Margarete Schütte-Lihotzky nach Wien, um für die Verbindung des österreichischen Widerstands mit dem Ausland zu sorgen. Nach einigen Wochen wird sie von der Gestapo verhaftet, vom Berliner Volksgerichtshof nach Beantragung der Todesstrafe zu fünfzehn Jahren Zuchthaus verurteilt.
1945
29. April: Befreiung aus dem Zuchthaus Aichbach, Bayern, durch amerikanische Truppen.
19. Mai: Die Österreicherinnen, darunter Schütte-Lihotzky, werden aus dem Zuchthaus abgeholt und nach München gebracht, der Aufenthalt dauert wegen der schwierigen Transportsituation zwei Monate.
1948
Margarete Schütte-Lihotzky entwirft das architektonische Konzept bei der Ausstellung “Wien 1848”. Im Juni gestaltet sie in Paris eine Frauen Ausstellung zum Frauentag des Weltbundes die österreichische Abteilung. Margarete Schütte-Lihotzky wird zur ersten Präsidentin des Bundes Demokratischer Frauen Österreichs (6) gewählt, in der Folge nimmt sie als Vertreterin Österreichs an zahlreichen Kongressen der Internationalen Demokratischen Frauenförderation – IDFF teil.
1948-1953
Gestaltung dreier Denkmäler für Widerstandskämpfer.
1989
Irma Schwager, Margarethe Schütte-Lihotzky und Bärbel Danneberg bei der Eröffnung des Marxistischen Zentrums in der Wielandschule, Wien 1989
Foto: Volksstimme 2022-02
1995
gehörte sie zu jener Gruppe österreichischer NS-Verfolgter, die Jörg Haider nach einer Debatte im österreichischen Parlament über ein rassistisch motiviertes Bombenattentat, dem vier österreichische Roma zum Opfer fielen, öffentlich anklagte.
1997
Als 100jährige Aktivistin unterschreibt sie das Frauenvolksbegehren
2000
Margarete Schütte-Lihotzky, die erste Architektin Österreichs, die zugleich eine Vorkämpferin für Gleichberechtigung der Frau war und eine Verfolgte des Nazi-Regimes, ist am 18. Januar in Wien gestorben, wenige Tage vor ihrem 103. Geburtstag.
2005
Ein Porträt zum 5. Todestag der Wiener Architektin und Widerstandskämpferin – mit Ansichtssache im diestandard – Margarete Schütte-Lihotzky: “Sie haben gedacht, ich würde verhungern”
2013
Margarete-Schütte-Lihotzky-Straße in Schwabing-Freimann in München
2017
Anläßlich des 120. Geburtstag hat die Organisatorin Christine Zwingl des Schütte-Lihotzky-Clubs eine Ausstellung mit dem Titel “Widerstand und Befreiung” gestaltet.In der Volksstimme 2/2017 ist ein Interview mit Christine Zwingl zur Ausstellung.
Widerstand und Befreiung Ausstellung 120er Geburtstag
Ausstellung: Untere Weißgerberstraße 41, 1030 Wien, Öffnungszeiten Di,Mi 10-14:00, Do, FR 14- 18:00
19. Jänner 2017 – Artikel im Kurier
“Ein Frauenschicksal, das mich berührt – und zugleich empört”
Die Schauspielerin Katharin Stemberger sagt bei einer Matinee über Margarethe Schütte-Lihotzky
Ihr Schicksal berührt und empört mich. Sie war im Widerstand, überstand Gestapo-Haft und Todesurteil, aber bekam nach ihrer Rückkehr nach Österreich 1945, weil den Kommunisten zugeordnet, nie mehr einen Auftrag.
2019
Buchpräsentation: Margarethe Schütte-Lihotzky. Architektur. Politik. Geschlecht
2020
Margarethe Schütte – Lihotzky – Erinnerungen aus dem Widerstand
Während des Nationalsozialismus trat sie der KPÖ bei, ging in den Widerstand, wurde festgenommen und entkam nur knapp der Hinrichtung. Die Frage, warum sie sich in Gefahr gebracht habe, wurde ihr nach 1945 oft gestellt. Schütte-Lihotzky empörte das, war doch der Widerstand für sie die einzige logische Konsequenz auf die Frage:
„Was haben wir zu tun, damit wir nach dem Sturz Hitlers wieder mit gutem Gewissen in der Heimat leben können?“
2022 anläßlich ihres 125. Geburtstag
… Vorstellung weiterzugeben, dass wir Architekten nicht nur dazu berufen sind, irgentwelche mehr oder weniger interessante äußere Architekturformen für das Auge zu schaffen – sondern dass die Gestaltung unserer Umwelt, die ja in den Händen der Architekten liegt – ständig auf die Nerven aller Menschen einwirkt und deshalb in ihnen Wohlbefinden oder Mißbehagen, Harmonie oder Disharmonie, das heißt Glücksgefühl erzeugt.
Vortragsmanuskript von Frau Lihotzky in der Volksstimme 02/2022
2022 – ihre Wohnung soll künftig ein Erinnerungsort sein
Margarethe Schütte-Lihotzkys Wohnung soll künftig ein Erinnerungsort werden. Hier soll ihr vielfältiges Wirken als Architektin, Widerstandskämpferin, frauenbewegte Komministin und Antifaschistin gewürdigt werden. Artikel aus der Volksstimme 1-2 Februar 2022
2023 – Warum ist Architektur sozial, Margarethe Schütte-Lihotzky?
Wohnraum aus sozialer Verantwortung zu schaffen, prägte das Werk der Architektin Margarethe Schütte-Lihotzky: „Ich habe begriffen, dass Architektur nicht nur die äußere Form ist, sondern Inhalt, dass sie gesellschaftliche und wirtschaftliche Grundlagen hat.“ Neben der Faszination für das Mathematische war es daher besonders der soziale Aspekt, der sie antrieb. Ihre Planung basierte auf Alltagsbeobachtungen und ging direkt auf die Bedürfnisse der Menschen ein Mehr dazu in der Arbeit und Wirtschaft
Bücher:
„Nur wenn ich als Teil einer Gemeinschaft für gemeinsame Ziele eintrete und auch dafür kämpfe, erhält mein Dasein auch einen Sinn.“
Die Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) hat mehr als ein Leben gelebt – und ist weit mehr als die Erfinderin der Frankfurter Küche, die sie berühmt macht. Geboren, als Österreich noch eine Monarchie ist, aufgewachsen in der Ersten Republik, studiert sie während des Ersten Weltkriegs und überlebt den Zweiten Weltkrieg nur knapp. In den 103 Jahren ihres Lebens ist
Margarete Schütte-Lihotzky oft die Erste: Sie ist die erste weibliche Architekturstudentin in Österreich und lange auch die erste Frau, die in diesem Beruf arbeitet und erfolgreich ist. Die soziale Frage ist ihr ein ehrliches Anliegen, für das sie in Österreich, Deutschland und Russland architektonische Lösungen sucht und findet. Aus Opposition zu Adolf Hitler wird sie Kommunistin, ihr politisches Verantwortungsgefühl bringt sie zum Widerstand und als politische Gefangene ins Zuchthaus. Sie ist Pazifistin und doch bereit, für ihre Überzeugungen zu kämpfen – mit Worten, durch Taten und lebenswertes Bauen.
Mona Horncastle: Margarethe Schütte – Lihotzky, Architektin – Widerstandskämpferin – Aktivistin, Molden, 304 Seiten, ISBN 978-3-222-15036-4
In ihren Erinnerungen beschreibt Schütte-Lihotzky die quälende Zeit in der Untersuchungshaft und ihren Prozess vor einem unmenschlichen Gericht, bei dem sie knapp mit dem Leben davon kam. Drei der fünf Angeklagten wurden zum Tode verurteilt, Schütte-Lithotzky nach dem Prozess in ein „Frauenzuchthaus“ in das bayrische Dorf Aichach überstellt, wo sie bis zum Ende des Krieges überlebte.
Schütte-Lihotzky, Margarete: Erinnerungen aus dem Widerstand.
Das kämpferische Leben einer Architektin von 1938-1945
Promedia 2014. 208 S. 12,8 x 20,8. brosch.
Print: € 17,90. ISBN: 978-3-85371-372-3.
E-Book: € 14,99. ISBN: 978-3-85371-829-2Mit einem Vorwort von Elisabeth Holzinger
Die Lebensgeschichte der Architektin Margarete Schütte-Lihotzky (1897–2000) umfasste das gesamte 20. Jahrhundert. Sie war eine der bedeutendsten Frauenpersönlichkeiten ihrer Zeit, wurde in Wien geboren und starb mehr als hundert Jahre später in dieser Stadt. Die Herausgeberin Christine Zwingl begibt sich auf ihre Wiener Spuren und macht diese sichtbar. Ein Stadtplan im Buch hilft den LeserInnen beim Erwandern der Lebensstationen.
Zwingl, Christine (Hg.): Margarete Schütte-Lihotzky.
Spuren in Wien
Promedia 2021. 200 S. brosch.€ 23,00. ISBN: 978-3-85371-494-2
Quellenverzeichnis:
(1) Denkwürdiges Wien, Erich Klein, Falterverlag, 2004, Seite 68
(2) Biografie – tw. zitiert nach der von Dedy Fenitania im Jahr 2000 an der HTA Bern verfaßten Querschnittsarbeit “Frankfurter Küche”
(3) Frankfurter Küche auf Wikipedia
(4) Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie
(5) Salzburgwiki
(6) Ceiberweiber
(7) diestandard
(8) ORF
(9) Artikel in Die Zeit, 3. Jänner 2020
Volksstimme 1-2 Februar 2022 anläßlich 125 Jahre Margarete Schütte-Lihotzky – Ständig bewegt sich der Mensch in Räumen.