Leopold Winarsky war der Sohn eines Tapezierermeisters. Im Alter von nur drei Jahren verlor er den Vater, und die Mutter übersiedelte mit ihm nach Wien, wo sie als Bedienerin und Wäscherin arbeitete. Winarsky erlernte ebenfalls den Beruf des Tapezierers und schloss sich bereits als Lehrling dem Arbeiterbildungsverein Landstraße an.
Wer ihn jemals auf der Tribüne gesehen hat, der wird sich gewiss immer seiner erinnern. Wie ein Sinnbild des Befreiungskampfes der Arbeiterschaft steht seine hohe Gestalt vor uns. Die stolze Haltung des Kopfes, der freie kühne Blick seiner hellen Augen, die große ungezwungene Geste seiner schlanken Hände, all das sehen wir deutlich vor uns, sobald sein Name an unser Ohr klingt. Wir glauben dann seine kraftvolle, frische Stimme zu hören. seine Worte, die zugleich hinreißend und überzeugend wirken.
Nachruf in der Nummer dIE Glühlichter vom 2.12.1915
Winarskys Lebenslauf
Kindheit:
Geboren am 20. April 1873 in Brünn. Seit Vater starb 1876 an den Spätfolgen einer Verletzung aus dem Krieg von 1866. Seine Mutter übersiedelte 1876 mit dem kleinen Leopold von Brünn nach Wien in den dritten Bezirk. Schwerste Arbeit kennzeichneten den Alltag der Mutter. Leopold gehörte stets zu den besten Schülern seiner Klasse.
Jugend:
Er hat gern gelernt und sein Wunsch war Lehrer zu werden. Das ging freilicht nicht, denn die Mittel fehlten. Er kam zu einem Tapezierer in die Lehre.
Der junge Tapezierer ging auf Wanderschaft, auf der es ihm, wie so vielen Arbeitern, schlecht genug ergangen ist. Nach wenigen Monaten kehrte er wieder nach Wien zurück. Er ging zu den Vorträgen des Landstrasser Arbeiter-Bildungsvereins “Gleichheit”, der damals einer der Mittelpunkte des Wiener Parteilebens gewesen ist. Im Redeunterricht des Vereins erprobte er zum ersten Mal seine Fähigkeiten und gewann tiefen Einblick in die Welt des Sozialismus.
Parteifunktionär:
Von diesem Verein aus, der den Zwanzigjährigen zum Obmann wählte, kam er in die Parteibewegung. Der 23jährige Arbeiter erscheint als Vertreter der Landstrasse auf dem Prager Parteitag 1896. Für die neugegründete “Volkstribüne” schreibt er ein paar Artikel und lernt dabei Franz Schuhmeier kennen.
Leopold wurde Angestellter der Krankenkasse. Als die fünfte Kurie eingeführt wurde und auch die Arbeiterschaft das Stimmrecht eingeräumt wurde, organisierte er als Bezirksvertrauensmann der Landstrasse den Wahlkampf. In der Versammlung, in der Genosse Adler zum ersten Mal zu den Wählern sprach eröffnete er den denkwürdigen Abend mit einer packenden Ansprache.
Eine Märzrede, die er in Ottakring 1895 gehalten hat, trug ihm 4 Monate Haft ein.
Mit 25 Jahren war er ab 1898 Mitarbeiter des zentralen Parteisekretariats unter Ferdinand Starek.
Ein Bericht über das Urteil in der Arbeiter Zeitung vom 18.7.1895
Gemeinderat und Abgeordneter:
1906 wurde Leopold Winarsky zum ersten sozialdemokratischen Gemeinderat der Brigittenau gewählt. Mit 4998 Stimmen siegte er gegen den christlichsozialen Bewerber. Im Jahr 1912 eroberte er sein Mandat mit mit 7417 Stimmen. Im Jahr darauf zum Reichsratsabgeordneten.
Hier setzte er sich v.a. für die Rechte der Lehrlinge ein, etwa für das Verbot des Sonntags- und Nachtunterrichts an den gewerblichen Fortbildungsschulen, oder für die Abschaffung des Lehrgeldes, das Lehrlinge bzw. deren Familien an die Lehrherren zu bezahlen hatten.
Ein großes Anliegen war sein Kampf für die Befreiung der Einkommen von 1200 bis 1600 Kronen von der Einkommenssteuer und für die Erhöhung der Steuer der Millionäre geworden.
Bildungsarbeit:
Er unterstützte 1902 den von sozialistischen Studenten gegründeten wissenschaftlichen Verein “Zukunft”.Als der Versuch unternommen wurde, der Arbeiterschaft gute Theatervorstellungen zugänglich zu machen, trat Winarsky an die Spitze
dieser Bewegung. Im Jahr 1908 reifte der Plan, eine Zentralstelle für das Bildungswesen für Wien und dann für Österreich zu errichten. Bei der Gründung des “Kampf, der “Bildungsarbeit” und der “Gemeinde” hat er mitgeholfen. In der Wiener Arbeiterschule hat er die Geschichte des Sozialismus vorgetragen.
Eine Bücherei, die sich sehen lassen kann, sammelte er im Laufe der Jahre in seiner Wohnung, manche Seltenheit auf dem Büchermarkt steht in seinen Stellagen. Viele dieser Bücher dienen heute in der Sozialwissenschaftlichen Bibliothek der AK Wien zum wissenschaftlichen Arbeiten.
Winarsky selbst war ein überaus gebildeter Autodidakt und setzte sich mit den Theorien der Arbeiterbewegung intensiv auseinander. Anlässlich des 30. Todestages von Karl Marx im Jahr 1913 würdigte er in einer ausführlichen Arbeit Marx’s Tätigkeit im Bund der Kommunisten und betonte dabei, dass das Kommunistische Manifest das erste historische Dokument des wissenschaftlichen Sozialismus geworden sei.
Jugendarbeit:
Auf seine Initiative hin wurde am 4. November 1894 der Verein jugendlicher Arbeiter gegründet. In der vorbereitenden Sitzung zu diesem Verein am 14. Oktober in der „Blauen Traube“ in Margareten setzte er sich gegen anwesende christlichsoziale Kleinmeister durch und machte auch den anwesenden älteren Genossen klar, dass die Jugend selbst den Verein führen wird.
Dieser kleine Verein entwickelte sich zum größten Jugendbewegung der Internationalen. Auf der ersten Internationalen Jugendkonferenz 1907 in Stuttgart war er im Präsidium und holte das Internationale Jugendbüro nach Österreich.
Gegen den Krieg:
In vielen Vertrauensmännerausschüssen stellte Winarsky die wahren Ursachen des Habsburgerkrieges dar. Er stellte die Tragik der Position der Sozialistischen Parteien, die mehrheitlich auf der Seite der kriegsführenden Staaten standen, in seinen Reden zur Diskussion. Er unterstützte den entscheidenden Wortführer Friedrich Adler den zerrissenen Faden der internationalen proletarischen Gemeinschaft neu zu knüpfen. In diesem Wirken wurden sie von Robert Danneberg, Julius Deutsch, Gabriele Prost und Therese Schlesinger unterstützt.
1914 musste Leopold Winarsky zum Militär einrücken; im Jahr darauf wurde er wegen einer schweren Erkrankung entlassen, an der er wenig später mit nur 42 Jahren starb.
Er wird in den Herzen der Arbeiterklasse fortleben: als Vorkämpfer für die Ideen des Sozialismus, als Lehrer des Volkes, aus dem er stammte und dem er treu geblieben ist, in guten und in bösen Tagen. Mit der Arbeiterbewegung, in der er weit über Österreichs Grenzen gekannt und geachtet war, bleibt sein Name unzertrennlich verknüpft. Er wird ein Vorbild sein auch in späten Zeiten.
Robert Danneberg, Glühlichter 2.12.1915
Nachruf in der Arbeiter Zeitung:
Leopold Winarsky starb am 22. November 1915 um 6 Uhr 40 im Rudolfspital. Er ist aus seiner Bewusstlosigkeit nicht mehr aufgewacht. Die ersten Worte des Gedenkens wurden in Floridsdorf gesprochen. Gemeinderat
Bretschneider hat bei der Versammlung der Mitglieder des Konsumvereins einen Nachruf gehalten.
Am 28. Dezember 1915 stirbt seine 80jährige Mutter in Wien.
Quellenverzeichnis
- Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie
- Zeitung „Die Glühlichter“ vom 2.12.1915
- Zeitung „Die Glühlichter“ vom 23.5.1906
- Arbeiter Zeitung vom 18.7.1895
- Arbeiter Zeitung vom 23.11.1915
- Arbeiter Zeitung vom 29.12.1915
- Recherchearbeiten von Elisabeth Luif anläßlich der Rundgangs der VHS-Brigittenau und dem Verein Rote Spuren zu 120 Jahre Brigittenau.
- Wiener Zeitung vom 22.11.1915