Wohn- und Geschäftshaus der Familie Neubauer in Wels
Im Haus Ringstrasse 8 führte die jüdische Familie Neubauer ein Textilgeschäft. Sie wohnt eauch im Haus. Nach dem “Anschluss” Österreichs 1938 wurde die Familie aus Wels vertrieben. Geschäft und Haus wurden arisiert. Samuel Neubauer (geb. 1871) und seine Frau Sophie (geb. 1875) mussten nach Wien ziehen. 1940 starb Samuel Neubauer eines natürlichen Todes, 1941 Sophie Neubauer. Dadurch entgingen sie der Deportation und Ermordung. Ihr Sohn Leopold Neubauer (später Newbower 1902 – 1980) konnte mit seiner Frau Gerda (geb. 1910) in die USA flüchten.
Dieses “Citymark” entdeckten wir bei einem Spaziergang mit guten FreundInnen in Wels. Herzlichen Dank an Franz, der mir das Zeichen zeigte.
Auszug aus der Geschichte der Familie Neubauer (1)
Samuel und Sofie Neubauer verkauften das Geschäft an „ihren“ kommissarischen Verwalter – er annoncierte die Übergabe im Welser Anzeiger vom 16.Juli 1938.26
Am 22.Juli 1938 erfolgte die Abmeldung des Ehepaares, seines Sohnes Leo und der Schwiegertochter Gerda nach Wien. Gerda und Leo Neubauer konnten über Italien, Frankreich, England zu Verwandten in die USA flüchten.
Samuel und Sofie Neubauer starben in Wien, die Nationalsozialisten hatten ihnen die Zuteilung von Medikamenten gesperrt. Ihre Gräber befinden sich auf dem Wiener Zentralfriedhof.
Gerda Newbower (das Ehepaar anglisierte nach der Emigration in die USA seinen Nachnamen) stellte einen Bericht über ihre Erinnerungen an jene Zeit ins Internet. Darin berichtet sie u.a. darüber, wie sich das Verhalten arischer Welser unmittelbar nach dem nationalsozialistischen Einmarsch ihrer Familie gegenüber veränderte: So habe die Leiterin der Schneidereiabteilung des Geschäftes von ihrer Chefin verlangt, sie solle sie zuerst grüßen. Ein Jugendfreund ihres Ehemannes Leo sei an diesem vorübergegangen und habe brieflich mitgeteilt, in Zukunft seien Treffen aufgrund der neuen politischen Verhältnisse unmöglich.(2)
„Am nächsten Morgen fand ich meine Schwiegermutter, zu der Zeit in ihren Siebzigern, auf den Knien vor dem Geschäftsportal beim Versuch, eine Karikatur und eine barbarische Inschrift in Kalk auf dem Gehsteig wegzukratzen. Ich stieß sie nach innen in der Befürchtung, dass das Entfernen dieser Inschrift die Dinge nur noch schlimmer machen würde. So blieb „Juda verrecke“ vor dem Haus stehen. Bald standen uniformierte österreichische SS- Männer(…) Wache bei unserem Geschäftseingang, und die wenigen potentiellen Kundschaften, die mutig genug waren bei uns einzukaufen, wurden von ihnen weggeschickt“. (3)
Über die Integration von Gerda und Leo Newbower in den USA gibt es ein Interview-Dokument, das im Stadtarchiv Wels aufbewahrt ist, sowie eine Diplomarbeit, eingereicht an der Universität Salzburg.(4) Gerda Newbower starb am 7.Mai 2012 im Alter von 102 Jahren in einer Gemeinschaft für „betreutes Wohnen“ in Tucson, Arizona, wohin sie 1999 übersiedelt war. Anlässlich ihres Ablebens erschienen in amerikanischen Zeitungen Nachrufe, denen man weitere Stationen ihres Lebens und dem ihres Mannes entnehmen kann.(5)
Das Ehepaar hatte sich in Gloversville im Staate New York niedergelassen, Heimat vieler Immigranten aus Europa. Leo Newbower wurde zum Chefdesigner einer großen Handschuhfirma; er starb 1981. Gerda Newbower brachte es bis zur Leiterin der Bewährungshilfeabteilung des Staates New York. Die ehrenamtlich vielfach engagierte Juristin leistete Pionierarbeit darin, Alternativen bei der Bestrafung Jugendlicher zu finden. Sie war bis ins hohe Alter interessiert an politischen Debatten.
Neben dem oben zitierten Erfahrungsbericht March to September hat Gerda Newbower eine Autobiographie verfasst.(6)
Pressestimmen:
2012 – Innenstadtagenda 21 Wels: “Erinnerungsweg” wurde eröffnet
Quellennachweis:
(1) Pädagogische Hochschule OÖ. – Lehrgang: Pädagogik an Gedächtnisorten 2012/13
Der Welser Erinnerungsweg – eine Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer
Verfasserinnen: Mag.a Hannelore Hörhann Mag.a Claudia Mallinger, Dezemeber 2013
(2) Newbower, March to September S.1 und S.6. Zit.nach: Kalliauer, 2008. S.63
(3) ebd.S.1f. Zit.nach: Kalliauer, 2008, S.63/64
(4) Kremser, Gernot/ Rumpfhuber,Karin: Kulturelle Identität: Österreicher in den USA – Diplomarbeit, Universität Salzburg. 1996
(5) Vgl.URL: http://www.legacy.com/obituaries/tucson/obituary.aspx?pid=157727432
und Arbeitsblatt 9, S.56f.
(6) Vgl. URL: http://www.blurb.de/b/436028-and-may-god-protect-austria