Axel Magnus beschreibt die Pariser Commune als eine der eindrucksvollsten Episoden in der Geschichte der an Kämpfen so reichen französischen ArbeiterInnenklasse in einem Artikel in aufwiderstand.at
In der kurzen Zeitspanne von 18. März bis 28. Mai 1871 gab sie uns einen Ausblick auf eine mögliche künftige Gesellschaft, der bis heute seinesgleichen sucht. In dieser Zeit wurde Paris von demokratischen Organen der ArbeiterInnenklasse verwaltet, welche zum Ziel hatten, die
Gesellschaft auf einer vollkommen neuen Basis zu reorganisieren – ohne Ausbeutung und Unterdrückung.
Der Weg zur Commune
1851 übernahm Napoleon III. im Zuge eines Militärputschs die Macht. Seine Autorität schien unantastbar. Die ArbeiterInnenorganisationen wurden unterdrückt. Gegen Ende der 1860er wurde sein Regime jedoch durch einen Wirtschaftsabschwung, die Auswirkungen von Kriegen in Italien, auf der Krim und in Mexiko sowie den Wiederaufschwung der ArbeiterInnenbewegung entscheidend geschwächt. Nur ein neuer Krieg konnte ihn seiner Meinung nach an der Macht halten, so dass er im Juli 1870 Preußen den Krieg erklärte.
Der Krieg endete als Fiasko. Am 2. September wurde der Kaiser gemeinsam mit 75.000 Soldaten von der preußischen Armee gefangen genommen. Die Folge waren Massendemonstrationen in Paris für die Abschaffung der Monarchie und eine demokratische Republik. Am 4. September rief daraufhin die konservative republikanische Opposition die Republik aus. Eine „Regierung der nationalen Verteidigung“ wurde installiert.
Kurz darauf befand sich Paris im Belagerungszustand. Für einen begrenzten Zeitraum unterstützte die Pariser ArbeiterInnenklasse die neue Regierung im Sinne der „nationalen Einheit“. Diese dauerte nicht all zu lange. Wie immer kamen jedoch die unterschiedlichen Klasseninteressen sehr schnell ans Licht, was sich heute am Beispiel des „nationalen Schulterschlusses“ zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie auch in Österreich erneut beweist. Die Herrschenden wollen die Einheit mit den arbeitenden Menschen immer nur solange, wie diese bereit sind, sich widerstandslos für deren Profit zu opfern.
Diese Regierung glaubte von Anfang an nicht an die Möglichkeit Paris zu verteidigen. Im Gegensatz zur regulären Armee erklärte sich die Nationalgarde von Paris (eine Miliz mit 200.000 Mann) dazu bereit. Tatsächlich waren – wie könnte es auch anders sein – aber 200.000 bewaffnete Männer in Paris eine weit größere Bedrohung für die Interessen des Kapitals als eine ausländische Armee vor den Toren der Stadt. Die Regierung hätte also gerne kapituliert, was in Anbetracht der Kampfbereitschaft der Arbeiterinnenklasse nicht möglich war. Also setzte sie auf Zeit, während sie Geheimverhandlungen mit Bismarck begann.
Insbesondere als Gerüchte über diese Geheimverhandlungen aufkamen, nahm die Feindschaft der Pariser ArbeiterInnen gegenüber der Regierung zu. Im Gefolge des Falls von Metz kam es am 8. Oktober in Paris erneut zu Massendemonstrationen. Am 31. Oktober besetzte die Nationalgarde kurzfristig das Rathaus. Die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen des Belagerungszustandes für Paris wurden immer dramatischer. Mit dem Wechsel an der Spitze der Armee Ende Jänner 1871 wurde für alle klar, dass die Regierung kapitulieren will, da der neue Armeechef einen Sieg über Preußen als unmöglich erklärte.
Dann wurde nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Februar auch noch der Monarchist Thiers Ministerpräsident. Der Hass der Pariser ArbeiterInnen auf diesen Erzreaktionär führte zu zahlreichen bewaffneten Demonstration der Nationalgarde. Zusätzlich angeheizt wurde die Stimmung davon, dass die Regierung nicht auf die rapide ansteigenden Arbeitslosigkeit reagierte und von den Nationalgardisten, denen bisher bei Arbeitslosigkeit eine Unterstützung garantiert wurde, jetzt eine Bestätigung verlangte, dass sie nicht arbeiten können.
Wie so oft in der Geschichte führte auch in diesem Fall der Krieg zur Revolution. Krieg führt zuerst einmal immer dazu, dass die Menschen aus ihrer Alltagsroutine gerissen und in die Arena großer historischer Ereignisse geworfen werden. Sie beobachten die Handlungen der Herrschenden, der PolitikerInnen, der Generäle viel genauer. Ganz besonders, wenn der Krieg in einer Niederlage endet. So wurde auch in den folgenden Tagen aus dem Krieg eine Revolution.
Der Beginn der Commune
Die Kapitulation gegenüber Preußen und die Gefahr einer Restauration der Monarchie führten innerhalb der Nationalgarde zu einer massiven Veränderung der Stimmung. In der Folge wurde ein „Zentralkomitee der Nationalgarde“ gewählt, welches neue Statuten beschloss. Zentral an diesen war, dass nunmehr die Nationalgardisten das Recht hatten, ihre Führung von der Ebene des Bataillons bis ganz nach oben zu wählen und – sollten sie das Vertrauen in diese verlieren – auch wieder abzuwählen. Schon nach wenigen Tagen musste diese neue Führung ihre Autorität unter Beweis stellen. Sie verhinderte einen sinnlosen Kampf als die preußische Armee Teile von Paris für zwei Tage besetzte.
Ministerpräsident Thiers hatte seinen AnhängerInnen die Restauration der Monarchie versprochen. Zuerst aber musste er ein viel größeres Problem lösen. Auch wenn seine Regierung formal in Paris regierte, war es real die Nationalgarde, da diese die Kanonen, insbes. jene auf dem Montmartre. kontrollierte – eine klassische Doppelmachtsituation, welche den Kapitalismus in Frage stellte.
Um 3 Uhr Früh am 18. März 1871 stürmten daher 20.000 Soldaten und Gendarmen den Hügel, um die Kanonen auf diesem in Beschlag zu nehmen. Dummerweise hatten sie vergessen, für deren Abtransport zu sorgen. In den nächsten Stunden konnten sich daher zahllose BewohnerInnen des Viertels – insbes. Frauen – am Ort des Geschehens sammeln. Nationalgardisten und Soldaten standen Nase an Nase. Soldaten liefen zur Nationalgarde über. Der Befehl, auf die Nationalgarde zu schießen, wurde ignoriert. Nationalgardisten und Soldaten umarmten sich. Die kommandierenden Offiziere der Armee, darunter ein altbekannter ArbeiterInnenmörder, wurden verhaftet.
Ministerpräsident Thiers flüchtete in Panik aus Paris und befahl Armee und Verwaltung Paris und die umliegenden Kastelle zu evakuieren, um diese Bewahrer der kapitalistischen Staatsmacht vor dem grassierenden revolutionären Geist zu schützen, da Soldaten schon begonnen hatten, revolutionäre Slogans zu skandieren. Bei all diesen Ereignissen hatte das Zentralkomitee der Nationalgarde keine Rolle gespielt und fand sich trotzdem am Abend des 18. März als Regierung eines revolutionären Regimes wieder. Seine Mitglieder wollten diese Macht nicht und erklärten sich nur dazu bereit, im Rathaus zu bleiben, bis in Paris Wahlen abgehalten werden können.
Die Commune
Diese revolutionäre Regierung wider Willen scheiterte schon an der ersten Herausforderung. Während es infolge der totalen Niederlage von Armee und bürgerlicher Staatsmacht ein Leichtes gewesen wäre, nach Versailles, wo sich deren klägliche Überreste sammelten, zu marschieren und diese einzukassieren, fand sich keine Mehrheit dafür. Weit mehr Aufmerksamkeit wurde der Diskussion über Modus und Datum der Wahlen gewidmet, welche schließlich für den 26. März angesetzt wurden.
Thiers nutzte die so gewonnene Zeit weidlich und stärkte die Armee mit dem Ziel eines Angriffs auf Paris mit Hilfe Preußens massiv. Das Zentralkomitee veröffentlichte vor den Wahlen noch eine bemerkenswerte Aufforderung:
„Vergesst nicht, dass diejenigen Menschen euch am besten dienen werden, die ihr aus eurer eigenen Mitte wählen werdet, die das gleiche Leben wie ihr führen, und die die gleichen Leiden ertragen, wie ihr. Hütet euch vor Leuten, die zu viel reden, und vermeidet vom Schicksal Begünstigte, denn selten nur will derjenige, der ein Vermögen besitzt, im Arbeitenden seinen Bruder sehen.“
Die Politik der Commune
Die neu gewählte Commune ersetzten unmittelbar die Nationalgarde als offizielle Regierung des revolutionären Paris. Eine Mehrheit von 90 Mitgliedern kann als LinksrepublikanerInnen bezeichnet werden. Etwa ein Viertel der Gewählten waren Mitglieder der Internationalen Arbeiterassoziation – der sog. 1. Internationale. Die verschwindende Minderheit an Rechten, die gewählt wurden, traten innerhalb kürzester Zeit unter dem Deckmantel diverser Ausreden zurück.
Zuallererst wurden alle Privilegien hoher StaatsfunktionärInnen abgeschafft. Sie erhielten die Bezahlung eines qualifizierten Arbeiters (Frauenlöhne waren so skandalös gering, dass das Gendern zu Fehlinterpretationen führen könnte). Außerdem konnten sie jederzeit abgewählt werden.
Sofort danach wurden die Mieten eingefroren. Von ihren EigentümerInnen aufgegebene Fabriken wurden unter die Kontrolle der ArbeiterInnen gestellt. Weiters wurde Nachtarbeit eingeschränkt und eine materielle Absicherung von Armen und Kranken eingeführt. Ziel dieser Maßnahmen war es, „die anarchische und ruinöse Konkurrenz unter ArbeiterInnen für den Profit des Kapitals zu beenden“.
Die Nationalgarde wurde für alle tauglichen Männer zugänglich gemacht und absolut demokratisch reorganisiert. Stehende Heere „getrennt von der Bevölkerung“ wurden verboten. Die Kirche wurde vom Staat getrennt und Religion zur Privatsache erklärt. Öffentliche Gebäude wurden für Wohnungslose zur Verfügung gestellt, Bildung und Ausbildung für alle ermöglicht, Kultureinrichtungen für alle geöffnet. AusländerInnen wurden als Alliierte im Kampf für eine Weltrepublik angesehen und damit letztlich die StaatsbürgerInnenschaft abgeschafft.
Fast rund um die Uhr gab es politische Versammlungen, auf denen abertausende Männer und Frauen darüber diskutierten, wie das gesellschaftliche Leben im Sinne des Kollektivs und der Solidarität organisiert werden soll.
Sind das – neben vielen anderen – nicht zahlreiche Schritte, wie sich viele von uns eine neue, eine menschliche, eine solidarische Gesellschaft vorstellen?
Die Niederlage der Commune
Die KommunardInnen haben zahlreiche Fehler gemacht – kein Wunder in Anbetracht des ersten Versuch des Aufbaus einer neuen Gesellschaft und Wirtschaft. Heute können wir daraus lernen.
So haben sie es z.B. unterlassen, die Nationalbank zu verstaatlichten und damit dem Kapital eines seiner (damals) wesentlichen Machtinstrumente nicht entzogen, was dieses weidlich ausnutzte um die reaktionäre Bande in Versailles und ihre Armee mit Millionen zu füttern, ohne welche deren Reorganisation nur schwer möglich gewesen wäre. Auch wurde die Gefahr eines Gegenangriffs von dieser Seite unterschätzt. Statt dieser offensiv zu begegnen, wurde nicht einmal eine ausgefeilte Defensivstrategie gegen diese entwickelt. Wie gefährlich dieser Hort der Reaktion knapp außerhalb von Paris war, zeigt sich daran, dass Einheiten der Commune außerhalb von Paris sofort von der Armee angegriffen und alle Gefangenen exekutiert wurden.
Es kam wie es kommen muss. Wenn das Volk spürt, dass die Schritte in eine neue Welt nicht ausreichend sind, keimt Pessimismus auf. Am 21. Mai marschierte die Armee in Paris ein. Die Commune war nicht darauf vorbereitet und folglich handlungsunfähig. Ohne zentrales Kommando war die Nationalgarde in ihren Stadtvierteln zu deren Verteidigung stationiert. Ohne die Konzentration aller Kräfte war jedoch jeder Versuch, den Angriff zurückzuschlagen, aussichtslos.
Der heroische Kampf der KommunardInnen endete in der sog. blutigen Woche. Die KämpferInnen wurden immer mehr und mehr in den Osten der Stadt zurückgedrängt und am 28. Mai endgültig besiegt. Die letzten von ihren wurden an der „Mur des Fédérés“, der Mauer der KommunardInnen, welche noch heute am weltbekannten Friedhof Père-Lachaise zu sehen ist, hingerichtet. Diese Mauer zeigt, wie tief die Erfahrung der Commune noch heute in das politische und gesellschaftliche Bewusstsein Frankreichs eingeschrieben ist. Noch immer finden sich jeden Tag zahlreiche Blumen unter dieser. Mir rinnt jedes Mal, wenn ich das sehe, wieder die Gänsehaut herunter.
In der blutigen Woche haben die Kräfte der Reaktion 30.000 Männer, Frauen und Kinder massakriert, rund 20.000 Menschen wurden in den folgenden Wochen für ihre Beteiligung an der Commune getötet.
Was sagt uns die Commune heute?
In seiner Analyse der Commune in „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ kommt Marx zur Schlussfolgerung, dass „die Arbeiterklasse […] nicht die fertige Staatsmaschinerie einfach in Besitz nehmen und diese für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen“ kann. Wollen wir die Herrschaft des Kapitals auf Kosten von Mensch und Natur beenden, so müssen wir auch dessen Staat abschaffen. Jede Form von Herrschaft hat ihre eigene Staatsform. Der bürgerliche Staat ist die Herrschaftsform des BürgerInnentums, der Bourgeoisie – wie es der Begriff „bürgerliche Demokratie perfekt zum Ausdruck bringt. Dieser dient der Bewahrung von Herrschaft, Eigentum und Macht der Bourgeoisie – oder um es in einem heutigen Wort zu formulieren: Des Kapitals.
Während der Pariser Commune wurde versucht, einen neuen Staat aufzubauen. Einen Staat, der den Menschen dient und nicht dem Kapital. Dabei haben uns die KommunardInnen – trotz oder auch wegen ihres Scheiterns – einige Lehren mitgegeben, auf denen wir ein menschliches Morgen aufbauen können: 1. Abschaffung aller Bürokratien, 2. Abschaffung von Berufsheeren, 3. keine Privilegien für politische FunktionärInnen, 4. Wahl aller Funktionen und jederzeitige Abwählbarkeit der AmtsinhaberInnen.
Wenn wir diese Schlussfolgerungen berücksichtigen, erweisen wir all unseren VorkämpferInnen und insbes. den Opfern der Commune die Ehre, die sie sich verdient haben.