Otto Bauer über den Februar 1934

Die Verantwortung für den Februar 1934 ist zu benennen. Es ist zu unterscheiden zwischen jenen, die den demokratischen Verfassungsstaat zerstört haben, und jenen, die sich gegen die diktatorischen Anmaßungen aufgelehnt haben. Zwischen jenen, deren Gesäß auf einen Bock gespannt, blutig geschlagen wurde, und jenen, die „die Schläge nur gezählt haben. Zwischen jenen, die gehängt wurden, und jenen, die sie dem Galgen überantwortet hatten. (1)

„Die Kämpfe begannen. Auf der einen Seite Proletarier, zumeist Arbeitslose, mit einem alten Gewehr aus der Kriegszeit (Anm. 1. Weltkrieg) in der Hand und wenigen Patronen in der Tasche. Auf der anderen Seite Militär und Polizei, mit allem modernen Kriegsgerät ausgerüstet: Panzerwagen, Kanonen und Haubitzen, Minenwerfern. Schon in den Abendstunden donnern die Geschütze.“
(1934 – Otto Bauer)

Ein paar Inhalte, die mir beim Durchlesen der knapp über 100 Seiten aufgefallen sind.

Öfters wird die Frage bei Rundgänge gestellt – weshalb bewaffnete Kampfverbände wie Schutzbund, faschistische Heimwehr oder monarchistische Frontkämpfer nicht ihre Waffen zurückgaben?
Die Sozialdemokratie hat mehrmals erklärt; wir brauchen keine Waffen, wenn auch Faschisten (Heimwehr) und Monarchisten (Frontkämpfer) keine Waffen haben. !922 haben das die bürgerlichen Parteien höhnisch abgelehnt. Dann wurde der Schutzbund gegründet.

1928 hat Karl Renner dies Ignaz Sepel (Bundeskanzler) neuerlich angeboten – Seipel lehnte ab. Dollfuß hat gemeinsam mit Fey (Heimwehrführer) aus staatlichen Waffenbeständen aufgerüstet.(2)

Wie war die Rolle der katholischen Kirche 1934?
Bichlmair, Georg (1890-1953) Jesuitenpater, seit 1922 Seelsorger an der Wiener Hofkirche, 1933 Redner beim Katholikentag, Schriftsteller, populärer Vortragender und Radioprediger. Bichlmair war im Jänner 1934 die Kontaktperson zur katholischen Kirche. Doch Otto Bauers Versuch, über diesen Kanal zu Gesprächen mit den Christlichsozialen zu kommen, scheiterte. Bichlmair ließ dem Chefideologen der österreichischen Sozialdemokratie ausrichten: „Gewiss, die Kirche kann in weltanschaulichen Fragen Dingen nicht mit dem Nationalsozialismus gehen. Aber das Christentum und die Kirche hätten von dort mehr zu erwarten als vom Sozialismus. (…) Aber besser als die zügellose Freiheit des Sozialismus wäre die Zucht des Faschismus, seine Disziplinierung der Jugend […] Im Allgemeinen wären die Gefahren, die der Faschismus bringt, nicht so gross, wie die Unsicherheiten des Sozialismus“ (4)

Die Lügen der Faschisten im Februar 1934
Die Verantwortlichen der SPÖ wären am Beginn des Kampfes geflohen. Wahr ist – In Wirklichkeit wurden fast alle „Führer“ der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften schon Montag um die Mittagsstunde verhaftet; die Verleumdeten saßen in den Gefängnissen der Diktatur.
Julius Deutsch und Otto Bauer waren am Montag bis Dienstag früh in der zentralen Kampfleitung in einem Arbeiterbezirk. Unmittelbar vor dem Haus gab es eine Polizei-Patrouille.

Als der Vizekanzler Fey (Heimwehrführer) im Rundfunk berichtete, dass wir in Prag angekommen seien, waren wir nach wie vor in Wien. Da übrigends der Herr Fey auch erzählt hat, wir hätten uns zu unserer Flucht „reichlich mit Reisegeld versehen“, will ich diesem ritterlichen Gegner verraten, dass ich die Grenze überschritt, 105 Schilling bei mir hatte, Deutsch noch weniger. (5)

Otto Bauer

Die Grausamkeiten des faschistischen Dollfußregimes

Das austrofaschistische Regime richtete Anhaltelager für sozialdemokratische Funktionär*innen und Februarkämpfer*innen ein. Die – ohne rechtsstaatlichen Schutz – inhaftierten Menschen litten enorm unter der Freiheitsberaubung. Übergriffe des Wachpersonals waren an der Tagesordnung. Die Kosten der Haft musstendie Opfer selbst bezahlen. Meist fiel der Alleinverdienst weg, die zurückgebliebenen Angehörigen litten Hunger wurden delogiert. (7)

Die Standgerichte sind an der Arbeit. Als erster kommt der Wiener Arbeiter Münichreiter, ein 43jähriger Mann, Vater dreier Kinder * vor die Blutrichter des neuen „christlichen“ Oesterreichs. Er kommt nicht zu Fuß. Im Kampfe schwer verwundet, wird er auf einer Tragbahre in den Gerichtssaal getragen. Das Gericht erkennt, daß eine schwere Verwundung nicht als eine schwere Erkrankung anzusehen ist, die nach dem Gesetz die Vollziehung der Todesstrafe verhindern würde. Die Richter des Herrn Dollfuß lassenden Verwundeten in der Tragbahre zum Galgen tragen.(6)

Mit dem Aufhebungs- und Rehabilitierungsgesetz 2011 hat das österreichische Parlament einstimmig ein eindeutiges Werturteil gesprochen: Der Verfassungsbruch 1933/34 und die nachfolgende Diktatur widersprechen – naturgemäß​ – demokratischen Prinzipien, die Handlungen ihrer Protagonisten sind als Unrecht im Sinne des Rechtsstaates zu qualifizieren. Damit sind die Opfer dieser Diktatur, insbesondere auch der Widerstand gegen das Gewalt-und Unrechtsregime im Februar 1934 und der nachfolgenden Jahre, rehabilitiert.(3)


Quellenverzeichnis

  • (1) Otto Bauer – Der Aufstand der österreichischen Arbeiter, kommentiert und herausgegeben von Werner Anzenberger, Anja Grabuschnig, Hans-Peter Weingand, ÖGB-Verlag, 2021 Wien, ISBN 978-3-99046-516-5, Seite 93
  • (2) ebenda, Seiten 34 – 36
  • (3) ebenda, Seite 84
  • (4) ebenda, Seite 78 – Fußnote 126 bezieht sich auf Gerhard Steger: Rote Fahne, schwarzes Kreuz. Die Haltung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs zu Religion, Christentum und Kirchen. Von Hainfeld bis 1934, Wien, Graz Böhlau 1987, Seite 269 -270
  • (5) ebenda, Seiten 67 – 69
  • (6) ebenda, Seite 28
  • (7) ebenda, Seite 41, Fußnote 55
  • Das Foto oben zeigt Otto Bauer um 1905 aus Wikipedia
  • Das zweite Foto zeigt Otto Bauer 1930 vor dem Wiener Rathaus aus Wikipedia
  • Das dritte Foto – ein Teil des Denkmals zum Anhaltelager in Wöllersdorf aus Wikipedia